Es scheint fast wie ein alter Kampf zwischen Mensch und Naturgewalt, wenn das Peloton der Tour de France den Mont Ventoux hinauf muss. Neben dem Tourmalet, dem Galibier und der Alpe d’Huez gehört der Ventoux zu den vier „heiligen“ Bergen der Rundfahrt. Denn die Geschichten, die mit diesem Berg immer wieder in Verbindung gebracht werden, haben etwas Mystisches an sich.
Bereits 1957 erkannte der normannische Philosoph Roland Barthes, dass der Anstieg ein ganz besonderer ist. „Der Ventoux ist ein Gott der Bosheit, dem Opfer dargebracht werden müssen. Er vergibt niemals Schwäche, er fordert ein schier ungerechtes Maß an Leiden“, schrieb er, als hätte er eine leise Vorahnung gehabt, was zehn Jahre später passieren sollte. An einem brüllend heißen Mittwoch, im Jahr 1967, kollabierte Tom Simpson in der Geröllhölle – dehydriert, vollgepumpt mit Amphetaminen und Alkohol. Der Weltmeister von 1965 starb. Jüngeren Radsport-Fans bleiben wohl vor allem die Bilder von Christopher Froome in Erinnerung, der einige Meter des Berges laufend im Gelben Trikot absolvierte. „Der Ventoux ist voller Überraschungen, ein ikonischer Anstieg“, sagt der Brite. Für den viermaligen Toursieger, den wohl größten Ventoux-Experten im Feld, ist der Berg „eine Hassliebe. Ich habe dort Wunderbares, aber auch völlig Verrücktes, totales Chaos erlebt“. Froome war es, der 2013 die letzte Bergankunft am Ventoux gewann.
Gaul siegt im Einzelzeitfahren
Doch auch Luxemburger haben das Geschehen am Ventoux geprägt. 1958, neun Jahre vor dem Drama um Simpson, gewann Charly Gaul die 18. Etappe der Tour – ein Einzelzeitfahren über 21,5 km von Bédoin zum Ventoux hinauf. Auf dem Weg zu seinem Gesamtsieg war es ein wichtiger Meilenstein für Gaul.
Auch in der jüngeren Vergangenheit waren Luxemburger im Zentrum des Geschehens auf den Straßen des „Géant de Provence“. Andy Schleck ist den Mont Ventoux „häufig, auch im Training“, hinaufgefahren, jedoch bleiben vor allem die Erinnerungen an die Tour de France 2009 und 2013 hängen. An diesem Mittwoch wird Schleck, der momentan mit seinem Partner Skoda bei der Tour ist, den Anstieg im Auto hochfahren – dabei werden Erinnerungen wach. „Ich erinnere mich natürlich lieber an 2009 als an 2013 zurück“, sagte der Tour-de-France-Sieger von 2010 am Dienstag dem Tageblatt. 2009 konnte er die 20. Etappe auf dem dritten Platz, 38 Sekunden hinter dem Tagessieger Juan Manuel Garate, beenden. Damals gelang es ihm mit seinem Bruder Frank nicht, Alberto Contador entscheidend abzuhängen. Andy Schleck wurde im finalen Gesamtklassement Zweiter (+4:11 Min. auf Contador), Frank wurde Vierter (+6:04).
2013 hingegen quälte sich Andy Schleck den Berg hinauf. Ein Jahr zuvor stürzte er beim Critérium du Dauphiné, brach sich das Kreuzbein und kehrte nicht in Topform zur Tour zurück. „Am Ventoux hat der liebe Fahrrad-Gott mir gezeigt, wie die Form war. Sie war nicht die, die ich mir erhoffteleto.“ Schleck kam mit 10:42 Minuten Rückstand auf Froome als 39. im Ziel an – am Ende der Tour belegte er den 20. Platz. „Es gibt Berge, die verzeihen“, sagt Schleck. „Der Ventoux gehört jedoch nicht dazu. Einige Anstiege haben Haarnadel-Kurven. Da ist es dann nicht so steil. Am Ventoux gibt es das nicht. Ich teile aber viele schöne Geschichten mit dem Berg“, sagt Schleck. „Ich möchte nicht nostalgisch werden, aber ich erinnere mich gerne zurück.“
Keine Taktik
Insgesamt kann man den Ventoux von drei Seiten erreichen. Am Mittwoch fährt das Peloton zuerst die vermeintlich „leichte“ Seite hinauf. Von Sault geht es auf einem 22 Kilometer langen Anstieg (durchschnittlich 5,1 Prozent Steigung) zum Gipfel, ehe sie dann beim zweiten Anlauf die volle Breitseite des Kletter-„Vergnügens“ erfahren. Auf 15,7 km geht es gewaltige 1.600 Höhenmeter hinauf (durchschnittlich 8,8 Prozent Steigung). Das Ziel liegt allerdings nicht auf dem Gipfel, sondern am Fuße des Riesen in Malaucène – das 2.900-Einwohner-Örtchen ist wie der Startort Sorgues zum ersten Mal Gastgeber bei der Tour.
„Von Bedoin hinauf ist es einer der schwersten Berge, die man fahren kann“, sagt Schleck. „Bis zum Chalet Reynard ist es sehr steil. Dann kommt die Hitze hinzu und wenn kein Wind weht, hat man das Gefühl, zu ersticken. Wenn man das Chalet Reynard hinter sich gebracht hat, kommt ein 500 Meter langes Flachstück – da sieht man dann den Turm. Und dann denkt man sich: Sch…, da musst du noch hin.“ Hinzukommt, dass bei dem Anstieg wenig taktiert wird. „Sich die Kräfte einzuteilen klingt gut, aber das wird nichts. Nach 500 Metern Anstieg ist der Puls erst mal bei 200. Man darf dann nicht abreißen lassen.“
Gespannt darf man sein, welche Geschichte der zweifache Ventoux am Mittwoch parat hat. Vielleicht ist der Ventoux der letzte Gegner von Tadej Pogacar, der unaufhaltsam auf dem Weg nach Paris zu sein scheint. „Ich sehe momentan nicht, wer Pogacar noch schlagen könnte“, sagt Schleck. „Es wird aber eine interessante Tour. Jeder weiß, dass er der Stärkste ist. Jeder weiß aber auch, dass sein Schwachpunkt die Mannschaft ist. Deswegen bin ich gespannt, wie kreativ die anderen Mannschaften sind. Erwarten wir das Unerwartete.“ Doch was kann man schon erwarten, wenn es den Mont Ventoux hinaufgeht?
Daat woren nach flott Errennerungen mat den
Gebridder Schleck,leider ass keen richtege Nohwues
méi do.Een besschen Schued.