Es ist schon paradox: Da heben wieder die ersten Ferien-Flieger in Richtung Mallorca ab. Doch zeitgleich springt die Inzidenz-Zahl erstmals seit Ende Januar bundesweit wieder über die 100er-Marke, und Spitzenpolitiker wie Olaf Scholz raten dringend vom Auslandsurlaub ab. Gefühlt wird die Corona-Lage immer unübersichtlicher. Was ist richtig, was ist falsch? Die Bund-Länder-Schalte an diesem Montag böte Gelegenheit, darauf überzeugendere Antworten als bisher zu finden. Zweifel daran sind allerdings genauso angebracht.
Auch Scholz sollte nicht entgangen sein, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt. Seit dem Beginn der Pandemie vor gut einem Jahr hat eine breite Mehrheit die politisch verhängten Lockdown-Maßnahmen geduldig mitgetragen. Aber die Zustimmung bröckelt deutlich, wie aktuelle Umfragen zeigen. Da grenzt es an politische Ignoranz, in dieser neuen Situation die alte Platte aufzulegen, wer an Ostern in die Ferne schweife, der gefährde den Sommerurlaub von uns allen. Anstatt vielen Bürgern ein schlechtes Gewissen zu machen, sollten Bundes- und Landespolitiker selbst ein schlechtes Gewissen haben. Weil sie bei der Impfkampagne versagen, weil die Corona-Warn-App floppt, weil flächendeckende Schnelltests bis heute nicht funktionieren und Schulen sich auch bei Minusgraden permanent mit Fensterlüften behelfen müssen, anstatt längst mit Luftfiltergeräten versorgt zu sein.
Auch andere Aspekte einbeziehen
Kurzum, durch ein kluges Krisenmanagement wäre die Krise zweifellos erträglicher. Aber Drohungen und Verbote gehen politisch eben leichter von den Lippen. Nach allem, was bisher bekannt ist, wird der anstehende Bund-Länder-Gipfel hier das Ruder nicht herumreißen. Trotz notorischer Erfolglosigkeit dürfte der Lockdown verlängert und wieder verschärft werden. Hoteliers und Restaurantbetreiber werden dann fassungslos zusehen müssen, wie Deutsche in Spanien Urlaub machen, derweil ihr eigenes Geschäft womöglich endgültig den Bach heruntergeht. Und viele andere werden sich die Haare raufen, weil die Sieben-Tage-Inzidenz weiter das Maß aller Dinge bleibt, anstatt auch andere Aspekte des Pandemiegeschehens in die Entscheidung über Lockerungen oder erneute Restriktionen einzubeziehen. Ideen dafür gibt es nicht erst seit diesen Tagen. So hatte das Land Berlin bereits im Mai des vergangenen Jahres eine „Corona-Ampel“ vorgestellt, bei der auch der R-Wert, also die Ansteckungsgefahr, sowie die Bettenbelegung auf den Intensivstationen ausschlaggebend für politische Bewertungen sind. Doch Föderalismus heißt für viele Landesfürsten: jeder macht sein eigenes Ding. Und die virtuellen Bund-Länder-Treffen sind letztlich nur Ausdruck dieses Wirrwarrs, ein Wochenmarkt politischer Eitelkeiten.
Gemahnt hat die Politik wahrlich genug. Machen statt mahnen ist angezeigt. Auch weil andernfalls jene Demonstranten weiter Oberwasser bekämen, die sich wie am Wochenende in Kassel einen Dreck selbst um einfachste Corona-Hygieneregeln scheren.
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