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Männliche Kussmünder

Männliche Kussmünder

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Bis zur feierlichen Verleihung der Filmpreise in Cannes am 27. Mai wird es sicherlich noch so einige Überraschungen geben: Relativ unbeschriebene Blätter, wie der belgische Schauspieler Matthias Schoenaerts, können plötzlich im Rampenlicht stehen.

Mit Spannung wartet die Kritik auf einen Film, der überrascht, Grenzen sprengt und Filmgeschichte schreibt. Tausende von Fans und Fotografen hoffen beim täglichen Showlauf auf dem roten Teppich auf ein kleines Skandälchen – ein verrutschter Träger, ein Stolpern, ein neues Paar … Und auf peinliche Äußerungen und noch peinlichere Entschuldigungen hinterher ist man – trotz der Abwesenheit von Lars von Trier – doch auch in diesem Jahr irgendwie wieder gespannt.

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

Nur eines steht bereits fest: Es wird ein Mann sein, der am 27. Mai die Goldene Palme in den Händen halten und strahlen wird. Über ihm der über allem thronende Kussmund von der umwerfenden Marilyn Monroe.

„A Cannes, les femmes montrent leurs bobines, les hommes leurs films“, schreiben die französischen Filmemacherinnen Coline Serreau und Virginie Despentes im Namen der feministischen Vereinigung „La Barbe“ in Le Monde. In einem offenen Brief protestieren sie: Denn keine einzige Regiearbeit von einer Frau hat es in diesem Jahr in den offiziellen Wettbewerb des größten Filmfestivals der Welt geschafft.

Frauenquote für Cannes?

Die Frage, wie es sein kann, dass ein Festival, das für sich beansprucht, am Puls der Zeit zu sein, gar als „Seismograf der Gesellschaft“ zu fungieren, zumindest im offiziellen Wettbewerb ohne den weiblichen Blick hinter der Kamera auskommen möchte, ist berechtigt. Der künstlerische Leiter Thierry Frémeux weist die Kritik an seiner Programmpolitik dennoch zurück: Man würde nie einen Film einladen, nur weil er von einer Frau realisiert worden sei.

Das verlangt auch keiner. Niemand hat Lust auf das leidige Thema einer Frauenquote und die immer gleichen Geschlechterdebatten. Es ist mühsam, eine offenkundige Benachteiligung durch eine fragwürdige Bevorteilung auszugleichen. Denn Quoten bleiben eine Form von Diskriminierung, wenn auch eine positive.

Dennoch ist es schwer vorstellbar, dass in den vergangenen zwölf Monaten weltweit nicht ein Film von einer Frau entstanden sein soll, der die Qualität hat, um es mit den 22 Filmen von den 22 Männern im A-Wettbewerb aufnehmen zu können. Zumal die Mehrzahl der Abschlüsse an Filmhochschulen mittlerweile von Frauen gemacht werden. Und es gibt sie ja, die tollen Filme von Frauen. Auch in Cannes.

Jedoch befinden sich diese nicht im offiziellen Wettbewerb, sondern – wie beispielsweise „Camille redouble“ von Noémie Lvovsky, der die „Quinzaine“ abschließen wird – in den Nebenreihen des Festivals. Die Gründe hierfür sind vermutlich ähnlich komplex, wie die Gründe, warum – trotz Parität in der Regierung – mächtige und prestigereiche Ministerien, wie Außenpolitik und Volkswirtschaft, eine Männerdomäne bleiben, während die Verantwortung für Familie, Jugend und Kultur getrost weiblicher Hand anvertraut werden.

In der französischen Republik, in der Gleichheit – gemeinsam mit der Freiheit und der Brüderlichkeit – als Staatsdevise gilt, scheint der Machismo weiterhin jeglichen Revolutionen und Fortschritten die Stirn zu bieten. Das Festival von Cannes kann in diesem Sinne als Beispiel für ein sich selbst erhaltendes System gelten, als ein „Insider Club“, in dem immer wieder die gleichen (männlichen) Filmemacher nominiert werden.

Wahre Gleichberechtigung wird wohl erst herrschen, wenn es auch ein männlicher Kussmund auf das Festivalplakat von Cannes schaffen kann.