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Das schwarze Jahr

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Mit der Aufgabe von Andy Schleck bei der Peking-Tour endete am Samstag aus Luxemburger Sicht die Radsportsaison auf der Straße. Eine Saison, auf die man gerne verzichtet hätte, nicht nur im Großherzogtum.

Auf der einen Seite steht die enttäuschende Bilanz der RadioShack-Nissan-Trek-Mannschaft. Und das obwohl der Rennstall von Flavio Becca nach der Fusion als noch stärker eingeschätzt wurde. Schlimmer als die sportlichen Resultate sind auf der anderen Seite die Begleiterscheinungen, die nun für eine unschöne Verlängerung der Saison sorgen.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Mit Johan Bruyneel holte man sich, so viel ist nach der Veröffentlichung des Berichts der US-amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada in der vergangenen Woche sicher, das schwärzeste aller schwarzen Schafe des Radsports ins Boot. Das Dopingsystem, das der Belgier mit seinem Schützling Lance Armstrong betrieb, erinnert stark an eine mafiöse Parallelwelt. Die ausgeklügelten Methoden und das Ausmaß der Dopingpraktiken im Armstrong-Team sind erschreckend. Sie beweisen, dass sich nach dem Festina-Skandal von 1998 nichts geändert hat im internationalen Radsport. Und sie beweisen, dass das Argument des Radsports als meistgetestete Sportart überhaupt hinkt. Für Armstrong und Co. war es spielend einfach, die Dopingjäger zu düpieren.

Und ging dennoch mal etwas schief, dann konnte man sich auf die Hilfe des Radsport-Weltverbands UCI verlassen. Auch der Generalverdacht, dem sich Radprofis ausgesetzt sehen, hat seine Berechtigung, wie der 202-seitige Bericht der Usada beweist.

Joachim und Schleck

Mittendrin statt nur dabei ist mit Benoît Joachim auch ein Luxemburger. Joachim bestritt quasi seine gesamte Profikarriere im Rennstall von Lance Armstrong, was in Anbetracht der Usada-Enthüllungen über das flächendeckende Doping im Team nicht gerade für ihn spricht.

Während Joachim seine Profilaufbahn längst beendet hat, ist Frank Schleck im besten Radsportalter. Für Montagabend (15.10.12) ist die zweite Anhörung wegen seines positiven Dopingtests während der Tour de France anberaumt. Dabei hat die Luxemburger Anti-Doping-Agentur eine heikle Mission. Denn der „Fall Schleck“ gleicht einem Krimistück, bei dem die Glaubwürdigkeit der nationalen Dopingbekämpfung auf dem Prüfstand steht.

Schleck beruft sich in seiner Verteidigung auf eine Verschwörungstheorie. Jemand soll ihm während der Tour de France etwas untergejubelt haben. Die Enthüllungen der Usada kommen so für Frank Schleck zu einem recht günstigen Zeitpunkt, schließlich ist Johan Bruyneel eine Menge zuzutrauen. Und das Verhältnis der Schleck-Brüder zum Teammanager war zum Zeitpunkt der positiven Probe bereits hoffnungslos zerrüttet. Allerdings sind Verschwörungstheorien nun mal, was sie sind, und sie funktionieren in jede erdenkliche Richtung.

Die Beweislast liegt zudem bei Frank Schleck. Er muss seine Vergiftungsthese nachweisen können, um einer Sperre zu entgehen. In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten – gilt in der Sportgerichtsbarkeit nicht. Ohne diese Regelung wäre die Dopingbekämpfung eine Sache der Unmöglichkeit. Im Fall Schleck geht es demnach um Beweise, nicht um Glauben oder Nichtglauben.

Wie auch immer der Fall Schleck ausgeht, unter dem Strich bleibt ein schwarzes Jahr 2012 für den Radsport im Allgemeinen und für den Luxemburger Radsport im Speziellen. Das ambitionierte Leopard-Projekt ist grandios gescheitert, die Fusion mit RadioShack samt Johan Bruyneel an der Spitze erweist sich nun als imageschädigender Boomerang. Da kann man schon fast froh sein, dass die Fahrer des Luxemburger Rennstalls dem internationalen Peloton nicht, wie zu Beginn der Saison erhofft, ihren Stempel aufdrücken konnten. Denn in welchem Licht würden etwaige Erfolge der RadioShack-Nissan-Trek-Mannschaft nach den jüngsten Enthüllungen um Lance Armstrong und Johan Bruyneel wohl stehen?