Besonders freuen sich darüber große europäische Zeitungen wie etwa die Zeit. Vor einem Jahr titelte die deutsche Wochenzeitung noch: „Eines Tages wird man fragen: Wo waren eigentlich die Intellektuellen, als Europa zu Bruch ging?“ Seit einiger Zeit sind ihre Seiten nun voll mit europapolitischen Debatten. Von vorne bis hinten. Vom Politikteil über die Wirtschaft, sogar im Anzeigenteil, bis hin zum Feuilleton. Dort ganz besonders. Vor allem mit Gastbeiträgen.
" class="infobox_img" />Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu
Losgetreten wurde diese Welle der Einmischung durch die von dem Soziologen Ulrich Beck und dem Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit initiierte Kampagne „Wir sind Europa“, einem Manifest zur „Neugründung der EU von unten“ durch ein Freiwilliges Jahr für alle. Ein tätiges Miteinander der Bürger. Nach dem leicht veränderten Motto J. F. Kennedys: Frage nicht, was Europa für dich tun kann, frage vielmehr, was du für Europa tun kannst. Doing Europe!
Bei so viel „Zusammen sind wir stark“-Rhetorik, gepaart mit Tatendrang, ist es nur logische Konsequenz, dass sich einige Euroskeptiker oder auch nur nüchterne Analysten von diesen „Europhorikern“ herausgefordert fühlen. Bernd Ulrich etwa, stellvertretender Chefredakteur der Zeit, hat die Idee scharf kritisiert, die Krise Europas mit immer mehr Europa lösen zu wollen. Er wirft den Europhorikern vor, aus Europa eine Ideologie machen zu wollen. Eine Ideologie im wahrsten Sinne des Wortes, streng politisch, als eine Denkweise aus dem vergangenen Jahrhundert. Mit ihrem scharfen Ton, ihrem Entweder-Oder-Denken, ihren Untergangsszenarien und ausgestreckten Rettungshänden. Missionarisch, anti-reformistisch, gefährlich. Das geht dem Politikchef, der sich lieber auf Karl Popper, den „großen Philosoph der Nüchternheit“ beruft, wirklich zu weit. Er bittet die Europhoriker: „Hört auf damit!“
Das tun diese natürlich nicht. Prompt folgt auf den „Großen Sprung nach vorn“ der „Große Sprung zurück“. Sie seien keine Ideologen, nur „engagierte Europäer“, die sich mit Diagnosen und Therapievorschlägen auseinandersetzten. Doch Etikettierungen fielen nun mal oft leichter als Diagnosen. Besonders Journalisten. Peng. Der Angriff sitzt. Er wurde am letzten Samstag veröffentlicht. Fortsetzung folgt. Ganz bestimmt.
Das ist auch gut so, denn die Debatte ist erfrischend. Da sie in abgeänderten Formen quer über den ganzen Kontinent geführt wird, verändert sie die Wahrnehmung. Plötzlich tritt an die Stelle von Endlosdebatten über Detailfragen (die zwar meistens wichtig, aber ermüdend sind) die große Frage der Menschheit. Jene Frage, die sich jede Gesellschaft in regelmäßigen Abständen zu stellen hat: Wie wollen wir leben?
Friede, Wohlstand, Freiheit
In Frieden. In Wohlstand. In Freiheit. Das wissen alle Beteiligten. Von den Gründervätern der EU. Diese Antwort gehört heute quasi zum europäischen Bewusstsein. Was fehlt, ist eine klare Vorstellung davon, wie der politische Rahmen, der Friede, Wohlstand und Freiheit sichern soll, auszusehen hat und – noch schwieriger – umzusetzen ist. In einem Europa, in dem jeder Vierte unter 25 arbeitslos ist – um nur dieses Beispiel zu nennen –, ist ein solches Brainstorming überlebensnotwendig.
Vielleicht wird wirklich vieles gut. Vielleicht schälen sich aus den in alle Richtungen ausufernden und in die verschiedensten Töne gekleideten Worten irgendwann Ideen heraus, die dann – manchmal sogar über Nacht – umgesetzt werden könnten. Daran glaubt der große europäische Schriftsteller György Konrád (Seite 12 in der Tageblatt-Mittwochausgabe). Mit achtzigjähriger Lebenserfahrung. Faschismus, Kommunismus, Demokratie. Er kennt sie alle.
Sein Vorschlag für einen nächsten Schritt in die richtige Richtung: Wie wäre es mit der Erhöhung des europäischen Budgets für Kultur? Etwas mehr als ein Tausendstel des Topfes sollte die gemeinsame Kultur, die uns zusammenhält (oder nicht?), doch wohl allen Beteiligten wert sein.
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