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Demokratisches Urvertrauen

Demokratisches Urvertrauen

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Als am 19. November bekannt wurde, dass der frühere Geheimdienstchef Mille eine (mehrere) Unterredung(en) mit seinem direkten Vorgesetzten Juncker per Armbanduhr (sic!) mitgeschnitten hatte, mochte dies noch einen gewissen Unterhaltungswert gehabt haben.

Doch schnell wurde klar, dass es sich bei dieser Abhöraktion lediglich um die Spitze eines Eisbergs handelt. Der vorweihnachtliche, durch gezielte Indiskretionen inszenierte Thriller hat alle Ingredienzen, die zu einem zünftigen Skandal gehören, und stellt darüber hinaus das Vertrauen sowohl in die demokratischen Prozesse als auch in die Spitzel von Staats wegen in Frage, wenn es denn je vorhanden war.

Robert Schneider rschneider@tageblatt.lu

Rückblende – Luxemburg vor einem guten Vierteljahrhundert: Das Land liegt (noch) mitten in (West-)Europa und ist ob seiner Lage, aber auch wegen anderer Prämissen interessant für Geheimdienste aus Ost und West. Manche sehen im Großherzogtum eine Drehscheibe der internationalen Spionage. „Gladio“ und Stay Behind versuchen mit wenig demokratischen Mitteln, eine Verschiebung des politischen Gewichtes hin zum kommunistischen Ostblock zu verhindern.

Die Rote Gefahr spukt noch in vielen Köpfen herum, die Friedensbewegung organisiert auch in Luxemburg erfolgreich Ostermärsche gegen Aufrüstung (u.a. die Stationierung amerikanischer Pershing-II-Raketen), die Gewerkschaftsjugend besetzt Arbeitsamt und zum Abriss bestimmte Villen am boulevard Joseph II. Die Linke radikalisiert sich europaweit, die Roten Brigaden haben Ministerpräsident Aldo Moro hingerichtet, die Rote-Armee-Fraktion den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Die extrem rechte World Anti Communist League (WACL), die 1966 in Taipeh zur Eindämmung des Kommunismus gegründet wurde, hält ihren Kongress in Luxemburg ab. Sprengstoffanschläge („Bommeleeër“) verschärfen das innenpolitische Klima in Luxemburg weiter.

Gefühl der Allmacht

In diesem Klima musste sich der Spitzeldienst, der in engem Kontakt mit anderen Diensten jenseits unserer Grenzen stand, wohl selten stark und frei gefühlt haben. Der Geheimdienst schreckte sogar nicht vor der Überwachung von Journalisten zurück (u.a. wurde der damalige Tageblatt-Direktor Jacques Poos abgehört). Außerdem wurde, wie jetzt bekannt wurde, ein Archiv angelegt, das auf 300.000 Namen anwuchs. Auch wenn „nur“ ein Sechstel davon Luxemburger gewesen sein sollen, so hat die Affäre rückblickend eine Dimension, die der Überwachung durch KGB, Securitate, Stasi usw. nur wenig nachsteht, jedenfalls darf dies die Hypothese sein, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Die parlamentarische Untersuchungskommission, die am Montag ihre Arbeit aufnahm, hat (ebenso wie die Justiz) nicht nur eine schwierige Aufgabe, sondern auch eine enorme Verantwortung. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die demokratische Glaubwürdigkeit des Staates und seiner Exponenten, inklusive des großherzoglichen Hofes.

Auch wenn Staatsminister Juncker wiederholt unterstrich, er sei in dieser Affäre Opfer und nicht Täter (was er wohl nicht nur ausschließlich auf die Uhrenabhöraktion bezieht), so darf dies nicht davon ablenken, dass die eigentlichen Opfer wohl eher außerhalb der christlich-sozialen Kreise zu finden sind.

Wer wurde wann wie lange überwacht, wer spionierte, was steht in den fraglichen Akten, wieso wurde bislang nichts davon bekannt, weshalb wurden noch vor wenigen Jahren illegale Abhöraktionen durchgeführt, welchen Nutzen hat der Geheimdienst heute überhaupt noch, welchen hatte er …?

Schnelle und lückenlose Aufklärung sind dem Land und seinen Bürgern geschuldet.