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Juncker’sche Gesichter

Juncker’sche Gesichter
(Tageblatt-Archiv)

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Bei allem Respekt, den der Staatsminister noch am Samstag öffentlich einforderte, möchten wir dennoch auf einige seiner Aussagen zurückkommen, die er anlässlich des Neujahrsempfangs der Fedil vergangene Woche formulierte.

Allein die Reaktion des ABBL-Präsidenten, der unter den zahlreichen Gästen war, und dessen Begeisterung physisch bis kurz vors Schenkelklopfen reichte, zeigte, wie unausgegoren diese waren.

Robert Schneider rschneider@tageblatt.lu

Die vielen unqualifizierten Jugendlichen, so Jean-Claude Juncker vor einem dankbaren Publikum, müssten bereit sein, Jobs im Gaststättengewerbe anzunehmen, sie dürften sich dafür nicht zu schade sein.

Juncker kündigte denn auch gleich an – wohl ressortübergreifend im Namen des Beschäftigungsministers –, diese Jugendlichen müssten wohl demnächst einen solchen Job annehmen, ob sie denn nun wollten oder nicht. Außerdem verkündete er, die Regierung habe ganz bewusst den Mindestlohn erhöht, das Mindesteinkommen aber auf gleichem Niveau belassen, womit er implizit durchblicken ließ, die RMG-Empfänger müssten sich ob ihrer Scheu vor bezahlter Arbeit künftig finanziell einschränken.

Zur ersten Aussage ist zu bemerken, dass es zwar stimmt, dass nicht alle Ausbildungsplätze, die das dynamische Gaststättengewerbe schafft, besetzt werden konnten. Brutto werden jährlich in dem Sektor etwa 2.000 Jobs frei (dies umfasst neu geschaffene Jobs und natürliche Abgänge), netto sind dies viel weniger und beileibe nicht alle frei gewordenen Posten können durch unqualifiziertes Personal besetzt werden. Wobei sich zusätzlich die Frage stellt, inwiefern Jugendliche, die unter mehr oder weniger großem Zwang eine Beschäftigung in dem Sektor annehmen müssen, einen Mehrwert in den betroffenen Betrieben schaffen können.

RMG zum Überleben

Fast die Hälfte der arbeitslosen Jugendlichen sind zudem nicht unqualifiziert, suchen intensiv nach Jobs und finden keine. Ob die unlängst beschlossene Verlängerung der Lebensarbeitszeit in diesem Zusammenhang hilfreich ist, ist eine vom Staatsminister wohlweislich nicht aufgeworfene Frage.

Auch die pauschalisierende Aussage zu den Empfängern des Mindesteinkommens kann so nicht stehen gelassen werden. Viele der RMG-Empfänger können aus verschiedensten Ursachen keine 40 Stunden pro Woche arbeiten bzw. sind kleine Rentenempfänger, die nur einen Teil des vollen RMG erhalten und nun unverschuldet finanzielle Einbußen auf niedrigem Niveau hinnehmen müssen. Ob dies mit der christlichen Soziallehre vereinbar ist, auf die sich der Clairefontaine-Schüler Juncker berief, ist mehr als offen.

Während der gleichen Fedil-Rede forderte der Staatsminister Patronat und Gewerkschaften dazu auf, den «kalten Krieg» zu beenden: Es sei quasi eine patriotische Pflicht, gemeinsam das Land voranzubringen.

Zur Sicherheit erinnerte der christlich-soziale Politiker dann am Samstag während eines RTL-Interviews noch daran, dass die Krise nicht auf den Schultern der Beschäftigten zu lösen sei. So konnte laut Juncker’schem Verständnis wohl jede Gruppe im Land bedient werden.
Dass die Gewerkschaften solch einen inkonsequenten Kurs wohlwollend aufnehmen und nach den Tiefschlägen der vergangenen Jahre ergebend zum Tripartite-Tisch eilen, erscheint dann doch eine etwas optimistische Sicht der Dinge.