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Europa und der Stahl

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Die Zukunft der Stahlindustrie ist derzeit sicherlich eines der wichtigsten Themen in Europa.

In Luxemburg hat sich ArcelorMittal zuerst mit der etappenweisen Schließung und Einmottung der Werke von Schifflingen und Rodange unbeliebt gemacht, dann kündigte das Unternehmen Ende letzten Jahres auf rabiate Art und Weise den Kollektivvertrag.
Der Kahlschlag in Liège hat in ganz Belgien für Unmut und Entsetzen gesorgt. Nach 800 verlorenen Arbeitsplätzen im vorletzten Jahr hat ArcelorMittal im Januar angekündigt, 1.300 weitere Stellen zu streichen. Sechs der elf Produktionsstandorte der sogenannten Kaltphase in der Lütticher Region sollen geschlossen werden.
Im französischen Florange wurden die beiden Hochöfen definitiv stillgelegt. Die Zusage des Konzerns, die Jobs dennoch zu erhalten, konnte Mittal nur durch die Drohung einer Zwangsverstaatlichung abgerungen werden. Mit diesem Abkommen ist der Konflikt in Florange aber noch lange nicht beendet, denn die Wut der Belegschaft und der Gewerkschaften ist ungebrochen. Frankreichs Industrieminister Arnaud Montebourg erklärte gestern erneut, die Option einer zeitlich befristeten Verstaatlichung bleibe auf dem Tisch, falls sich ArcelorMittal nicht an seine Versprechen halte. In Europa ist das Vertrauen in den Stahl-Multi wohl an einem Tiefpunkt angelangt. Das Beispiel Florange zeigt, dass die Beschäftigten den Versprechungen Mittals mit Skepsis und Misstrauen gegenüberstehen.
Es handelt sich also nicht bloß um vereinzelte Schwierigkeiten, die nur in den betroffenen Ländern Besorgnis erregen, sondern um ein viele Menschen betreffendes, europäisches Problem, das eine gemeinsame und langfristige Lösung sowie die unerschütterliche Entschlossenheit der Politik benötigt.

Michelle Cloos mcloos@tageblatt.lu

Ein Affront

Demnach ist zu begrüßen, dass diese Woche eine gemeinsame Sitzung mit unter anderem Wirtschaftsminister Etienne Schneider, dem französischen Industrieminister Arnaud Montebourg, dem wallonischen Wirtschaftsminister Jean-Claude Marcourt und EU-Kommissar Antonio Tajani stattfand, um Wege zur Verteidigung und Stärkung des Industriestandorts Europa zu finden. Doch neben den Werksschließungen in Europa, die eine Streichung von zahlreichen Arbeitsplätzen in einer Zeit von Rekordarbeitslosigkeit in der EU bedeuten, stellt die Attitüde des Stahl-Multis ein weiteres Problem dar. Denn der Chef des Stahlkonzerns, Lakshmi Mittal, war zwar persönlich zu dieser Versammlung eingeladen worden, er hielt es aber anscheinend nicht für nötig, auch tatsächlich zu erscheinen. Stattdessen schickte er einen Vertreter. Premierminister Jean-Claude Juncker erklärte, eine solche Haltung sei „pas convenable“.
Junckers Kommentar stimmt, ist aber eigentlich noch ein Euphemismus. Dass Mittal es anscheinend ignoriert, wenn er von Ministern und einem EU-Kommissar gerufen wird, ist ein regelrechter Affront und zeugt von einem Mangel an Respekt. Gleiches gilt für die Antwort des Konzerns auf die Forderung Tajanis, bis Sommer ein Moratorium für Werkschließungen in Europa gelten zu lassen. Es sei nicht möglich, den geplanten Zeitplan abzuändern, schrieb der Stahl-Gigant in einem Kommuniqué.
Es ist gut und absolut notwendig, dass die europäischen Politiker – endlich – gemeinsam für die Zukunft der Stahlindustrie in der EU kämpfen wollen. Doch die Reaktion des Unternehmens zeigt, dass der Weg zu einer Lösung der Probleme ein langer und schwieriger sein wird und dass der Druck noch weiter erhöht werden muss.