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Imperium aus Versehen

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„Deutschland ist ein Imperium aus Versehen.“ Diese Aussage stammt nicht etwa aus dem Munde eines Südeuropäers, sondern von Ulrich Beck, dem weltweit angesehensten deutschen Soziologen.

Der Professor, der in München lehrt, hat unter dem Titel „Das deutsche Europa: Neue Machtlandschaften im Zeichen der Krise“ eine Streitschrift geschrieben, die immer mehr Beachtung findet, nur in einem Land nicht: seinem eigenen.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu

Dass Ulrich Becks Streitschrift so wenig Beachtung in seinem Heimatland geschenkt wird, hängt wohl in erster Linie damit zusammen, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung samt ihrer Eliten sich der Demokratie verpflichtet fühlt. Demokratie und Imperium passen doch nicht unter einen Hut, oder doch? Nein, wenn man mit Imperium an Gewaltherrschaft denkt – etwa das Dritte Reich. Ja, wenn man mit dem Begriff die Wirtschaftsmacht als Fundament einer Hegemonie verbindet.

Man kann sich demnach durchaus weigern, eine Verbindung zwischen den beiden Begriffen herzustellen. Nur verkennt man dann, dass zwar oft militärische Macht ausschlaggebend für den Aufstieg eines Imperiums, jedoch nicht für dessen Fortbestand ist.

Nun mag Deutschland und den Deutschen die Dominanz in Europa überhaupt nicht gelegen sein – sie ist eben ein „Versehen“. Darin liegt im jetzigen Fall laut Ulrich Beck jedoch auch ihre Tragik, weil dies bedeutet, dass Deutschland kein Ziel, keine Strategie hat, um Europa aus der Krise zu führen.

Rezession, das ist die Krise der anderen, heißt es dann im Nachbarland, und man verkennt in der Öffentlichkeit, wie sehr Deutschland eigentlich von der Krise profitiert. Der Staat kann so billig Schulden machen wie noch nie. Das Kapital zieht sich aus der Peripherie nach Deutschland zurück. Lange beklagte sich die deutsche Wirtschaft darüber, dass nicht genügend qualifizierte Arbeiter da seien, um alle Stellen zu besetzen. Mit der Krise in Südeuropa und dem Zuzug von Abertausenden hochqualifizierten Südeuropäern gehört dieses Kapitel nun der Vergangenheit an. Von den Ein-Euro-Jobs und Hartz IV soll hier nicht einmal die Rede sein. Es geht schon die Rede von einem zweiten Wirtschaftswunder. Nur auf wessen Kosten, das fragt sich fast niemand.

Am besten zeigt sich die Dominanz Deutschlands in Europa dadurch, dass es eigentlich kein Gegengewicht mehr gibt. Großbritannien ist nicht Teil der Eurozone, kann also in entscheidenden Fragen gar nicht mitdiskutieren oder mitbestimmen – so sehr Premier David Cameron auch poltert. Paris hingegen ist wirtschaftlich längst nicht mehr auf Augenhöhe mit Berlin.

Alternativlos?

Nach fünf Jahren Austeritätspolitik in Europa müsste mittlerweile auch dem Letzten klar sein, dass man gegen eine Mauer fährt. Sie hat schlicht nichts gebracht in Südeuropa, die Lage hat sich von Jahr zu Jahr verschlimmert. Doch Deutschland – quasi parteiübergreifend – bleibt bei seiner sturen Linie.

Nicht nur aus Pragmatismus, meint Ulrich Beck, sondern eben auch aus „moralischen Gründen“, die sich aus der protestantischen Ethik heraus erklären: Man gibt nicht mehr aus, als man hat. Das klingt gut, hält die Spirale nach unten in den Krisenländern allerdings nicht auf.

Dass die Staatsfinanzen Südeuropas konsolidiert werden müssen, scheint außer Zweifel. Nur können sich diese Länder nicht beim Schopfe packen, um sich aus dem Dreck zu ziehen. Doch durch Merkels allgemein eingeführte Schuldenbremse spart der Norden auch. Genau hier müsste angesetzt werden, aber man denkt in Europa in wirtschaftlichen Fragen ja „protestantisch“.