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965 Mal und öfter

965 Mal und öfter

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Der geneigte Tageblatt-Leser und Internetnutzer gebe die Stichwörter „Juncker“ und „Lüge“ bei Google ein, und schon springen 965 Einträge auf den Schirm, wie etwa dieser von faz.net (Frankfurter Allgemeine Zeitung):

„Der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker ist ein Meister darin, Sätze derart kompliziert zu formulieren, dass der Zuhörer am Ende alles oder nichts hineinlesen kann. (…) Nun allerdings kursiert ein Satz Junckers in Brüssel, der an Klarheit kaum zu überbieten ist: ‹Wenn es ernst wird, muss man lügen.’“

Alvin Sold asold@tageblatt.lu

Das könnte von Machiavelli sein! Aber er sagte es nicht, der große Florentiner, für den die Staatsräson über jeder Moral stand. Juncker, des kleinen Luxemburgs Premier, sprach’s aus, trotzig, flapsig, als Eurogruppenchef; das Wort ging auf dem (bisherigen) Höhepunkt der Eurokrise um die Welt.

Darf, im demokratischen Rechtsstaat, der Politiker lügen, weil er „muss“? In wessen Interesse muss, müsste er denn? – Das ist, zusammen mit der Form, die eine Lüge annehmen kann, die Kardinalfrage.

Betrachten wir ein anderes, erst ein paar Tage altes Exempel aus der Juncker-Rhetorik. Die gewählte Ausdrucksform ist simpel, banal; sie kann, sie soll ablenken vom Hintergründigen, von der Wahrheit:

„Näischt ass méi, wéi et war. Et ass net alles anescht ginn, mee villes huet sech geännert a munches huet sech verännert. Aner Saache musse sech änneren, soss gëtt alles anescht.“

So begann Juncker seine Erklärung zur Lage des Landes.

„Näischt ass méi, wéi et war.“

J. stellt den derzeitigen Zustand fest; die Dinge sind halt so geworden; das Warum und Wie umgeht er, weil er zum engsten Kreis der Verursacher der gegenwärtigen Zustände in der EU und der Eurozone gehört. Ist das Ausklammern der Frage nach der politischen Verantwortung nicht eine typisch Juncker’sche Form des Lügens?

„Munches huet sech verännert.“

Unter dem Druck der Finanzmärkte, also der Zentren der spekulativen wie der erwirtschafteten Profite, denen weder die EU noch die Eurogruppe entgegentreten und sich eher wie Komplizen benehmen, hat sich in der Tat „manches“ zulasten der kleinen und der mittleren Einkommensschichten verändert. Zigmillionen Arbeitslose veranschaulichen die Abhängigkeit des Einzelnen und seiner Familie von den neuen Machthabern, den Herren des Geldes. Deren Aufstieg ist nur das Resultat der von J. und seinen EU-Kumpanen tolerierten (getragenen, bewunderten?) Wirtschaftsmacht der Milliardäre und Großkonzerne. Diese bereiten die Noch-Nicht-Gebeutelten mithilfe ihrer politischen Vasallen auf die zu erbringenden Opfer vor:

„Aner Saache musse sech änneren, soss gëtt alles anescht.“

Also, ihr Luxemburger, ihr paar kleinen Leutchen in diesem gewaltigen Europa, ihr werdet noch Abstriche hinnehmen müssen, sonst fahren die Bosse mit der Dampfwalze über uns weg, und wenn wir platt sind, ist alles anders. – Man verzeihe die saloppe Transkription des offiziellen Juncker-Statements, hinter dem die nicht gesagte Wahrheit steht, welche, wenn J. nicht lügte, „weil es ernst wird“, wie folgt lauten dürfte:

„Meine Aufgabe ist keine andere als die, euch auf den Verzicht vorzubereiten, welcher sich notwendigerweise aus den überfälligen Transfers von unten nach oben ergibt. Stellt euch darauf ein, dass das gegenwärtige Kräfteverhältnis, welches in den Gesetzen der Union und des Staates verankert ist, euch mehr Arbeit für weniger Geld und weniger Sozialleistungen für mehr Beiträge aufbürden wird. Ihr werdet ärmer, einige werden reicher, das ist der Lauf der Dinge.“

Daran gehen wir zugrunde

Die erwiesene politische Verlogenheit untergräbt in Luxemburg wie bei den Nachbarn und Partnern (Skandale über Skandale!) das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie, die sich den jeweiligen, irgendwie zusammengebastelten Regierungen unterwirft. Vielleicht steckt, insbesondere bei uns, der Wurm in der Nicht-Auswechselbarkeit der CSV, welche die Verfassung, die Wahlgesetze und den Staatsapparat auf sich zuschneiden konnte.

Der Bommeleeër-Prozess, der das Wissen der CSV-Spitzenpolitiker – Santer, Juncker und Frieden einbegriffen – um inakzeptable Vorgänge offenbart, zeigt, wie gängig die politisch motivierte Lüge geworden ist.

Daran werden wir zugrunde gehen.