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Politischer Wille gefordert

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Schon wieder Viktor Orban, oder noch immer? Der ungarische Regierungschef hat wieder die europäischen Institutionen gegen sich aufgebracht. Darauf hat er es ja angelegt.

Mit der mittlerweile vierten Verfassungsreform innerhalb von nur 18 Monaten, die Viktor Orban von seiner Partei Fidesz hat absegnen lassen, wird offenbar in mehreren Punkten auf eklatante Weise gegen europäisches Recht verstoßen. Nebenbei sollte es übrigens nicht nur Juristen kalt den Rücken runterlaufen ob der Qualität der Arbeit, die die ungarischen Verfassungsrechtler da vorlegen. Das Grundgesetz eines Staates derart schlampig zu behandeln, dass gleich viermal nachgebessert werden muss? Da kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch die Auftraggeber nicht auf der Höhe des Erforderlichen sind.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Das ist vermutlich auch nicht unbedingt deren erste Sorge. Die haben eher anderes im Blick: zum einen die eigene Machterhaltung, die angesichts des wirtschaftlichen Tiefgangs wohl in der derzeitigen Konstellation einer Zwei-Drittel-Parlamentsmehrheit kaum zu sichern ist. Wofür zum anderen Stimmung gemacht werden muss, und zwar in Form eines Krieges gegen einen übermächtigen Feind. In diesem Fall Brüssel. Kein Krieg mit richtigen Waffen. Zum Einsatz kommt nur kriegerische Rhetorik.

Rückendeckung von Parteifreunden

Dieser Krieg sieht dann so aus, dass da einer das Ungarntum verteidigen will, mit seiner politischen Kultur, seiner Religion und seinen kulturellen Eigenheiten. Und dabei die verhasste kommunistische Vergangenheit abschütteln will, mehr als 20 Jahre danach, weshalb eben die Verfassung zu ändern ist und etwa Richter aus der damaligen Zeit in Frühpension geschickt werden müssen. Auch wenn die in mehr als zwei Jahrzehnten in einem demokratischen Staat Recht gesprochen haben.

Und das Volk hat eine Kriegssteuer zu leisten für den Fall, dass der Feind über sein Gericht auf Kirchberg feststellen lässt, die zum Wohle der Bürger und der Propagandazwecke der Partei umgeformte Verfassung würde gegen europäisches Recht verstoßen, was mit einem Bußgeld verbunden sein kann. Das wird dann von Budapest so dargestellt, als würde Brüssel Ungarn seinen Willen aufzwingen und das Volk muss noch dafür zahlen. Dabei muss die ungarische Bevölkerung dann Viktor Orbans Fehler berappen, obwohl er eindringlich gewarnt wurde. Diese Warnung aber hat der Regierungschef in den Wind geschlagen. Im vergangenen Jahr ist ihm nichts geschehen, als er das erste Mal gegen europäische Gesetze reglementieren ließ. Und auch jetzt halten ihm seine europäischen Verbündeten weiterhin die Treue. Vom Europäischen Rat, wo die meisten der 27 Regierungschefs mit der Fidesz verbündeten christlichen oder konservativen Parteien angehören, ist nichts zu befürchten. Und im Europäischen Parlament (EP) sorgt noch immer die Europäische Volkspartei (EVP) mit ihrer Mehrheit dafür, dass nur mit viel Mühe etwas gegen die Machenschaften des Viktor Orban unternommen werden kann.

Immerhin befasst sich ein EP-Ausschuss mit der ungarische Verfassungsreform, und auch die EU-Kommission hat ihre Juristen auf das Thema angesetzt. Bis Juni sollen die Resultate dieser juristischen Überprüfungen auf dem Tisch liegen. Und dann müsste Viktor Orban mit Konsequenzen zu rechnen haben. Der Lissabonner Vertrag sieht dazu entsprechende Instrumente vor. Diese zu nutzen, dazu ist politischer Wille erfordert. Immerhin geht es um die Verteidigung grundlegender Werte und Rechte in der EU.

Schon einmal haben die 27 ihre Regeln, die Stabilitätskriterien, nicht eingehalten und die dafür vorgesehenen Zwangsmaßnahmen nicht eingesetzt. Dieses Versäumnis hat wesentlich zum Zustandekommen der derzeitigen Schuldenkrise beigetragen. Ein neuerliches Nichtstun im Bereich der Grundrechte könnte eine Krise anderen Ausmaßes auslösen.