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Die Zeit drängt

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Frankreich soll von der EU-Kommission zwei Jahre länger Zeit zugestanden bekommen, sein Staatsdefizit unter die bislang „sakrosankte“ Drei-Prozent-Marke zu senken.

Das offizielle Deutschland, zweigeteilt in der Beurteilung dieses Vorhabens, beeilt sich, klarzustellen, dass dies im Rahmen eines ganz normalen Verfahrens stattfindet, das eine zweijährige Fristverlängerung ermöglicht, wenn in einem Lande eine „unerwartete, negative makroökonomische Entwicklung“ eintrete.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Dass Deutschland auf ein solches französisches Begehren positiv reagiert, gleichzeitig appelliert, die Sparziele und die Strukturreformen nicht aus den Augen zu verlieren, könnte eventuell auch daran liegen, dass Berlin in Sachen Defizitverfahren, die von Brüssel gegen Deutschland eingeleitet und schließlich von den EU-Ratsmitgliedern dennoch nicht durchgeführt wurden, reichlich Erfahrung hat. Mehr als jedes andere EU-Mitglied.

Man könnte also dazu neigen, den Vorgang als normal abzutun. Wäre da nicht Spanien, das auch eine Fristverlängerung von zwei Jahren erhalten soll, weil die makroökonomische Entwicklung zwar weiterhin negativ ist, wie die EU-Prognosen vom letzten Freitag (03.05.13) zeigen. Was aber ganz sicher nicht unerwartet kommt. Die erwähnte Verfahrensprozedur kann also gar nicht greifen.

Auch in Italien tut sich was. Der neue italienische Premierminister Enrico Letta meinte am Sonntag (05.05.13), er erwarte „mehr von der EU als Einsparungen, Steuern und Austerität“. Was er auch bei seiner Tour in den europäischen Hauptstädten und bei der EU-Spitze in Brüssel zum Ausdruck gebracht hat. Letta, der am Montag in Spanien war, sieht in dem iberischen Nachbarn einen natürlichen Verbündeten bei dem Versuch, für ein Europa zu werben, das „mehr Augenmerk auf Wachstum und das soziale Unwohlsein der Gesellschaft“ legen sollte.

Armutszeugnis

Portugals Regierung, die am Dienstag (07.05.13) mit der Troika über ihr neues Sparprogramm mit weiterem massivem Arbeitsplatz- und Sozialabbau verhandelt, steht einmal mehr mit dem Rücken zur Wand. Das Land braucht ebenso mehr Spielraum wie Griechenland.

Einer, der seit seinem Amtsantritt für diesen Weg plädiert hat, ist der französische Präsident François Hollande, dessen zähes Werben für einen Mittelweg sich nun auszuwirken scheint. Es geht nicht darum, strukturelle Reformen nicht anzugehen, es geht nicht darum, Sparziele aus den Augen zu verlieren, sondern darum, notwendige Reformen mit Wachstumsimpulsen zu verbinden, so Hollandes Überzeugung. Frankreich kündigte am Montag dementsprechend auch einen Investitionsplan für die nächsten zehn Jahre an. Es ist lange her, dass ein europäisches Land dies getan hat.

Dass solche Wege dringend notwendig sind, davon scheint auch Enrico Letta überzeugt. Er will auf dem nächsten europäischen Gipfel endlich das seit langem angekündigte Programm gegen die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit in der EU einfordern.

Es ist sicher kein Zufall, dass sich dies mit den von Hollande, nach der Kabinettssitzung am Montag in Paris zum ersten Amtsjahr, genannten politischen Prioritäten „Arbeitsplätze“ und „Investitionen in die Jugend“ deckt.

Denn solange es Europa zulässt, dass in einzelnen seiner Mitgliedsländer bis zu 60 Prozent der jungen Menschen bis 25 Jahre keine Arbeit finden, stellt sich die EU ein Armutszeugnis aus und verschlechtert ihre mittelfristigen Aussichten auf eine neue Wettbewerbsfähigkeit bis hin zum Nullpunkt.

Es bleibt zu hoffen, dass der Fall Spanien andeutet, dass die eingangs erwähnten Fristverlängerungen mehr als ein normaler Vorgang sind. Zu wünschen wäre, dass sie auf etwas anderes hindeuten: auf ein, wenn auch noch zaghaftes, Umdenken in der EU. Die Zeit drängt.