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Es wäre nicht zu früh

Es wäre nicht zu früh

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„Wir wollen Arbeit“, sagte einer der Jugendlichen am Rande der Krawalle in Stockholm, die erst am Sonntag abebbten. Da trifft es sich doch geradezu gut, dass sich diese Einsicht jetzt auch sozusagen auf europäischer Ebene durchzusetzen scheint.

Frankreich und Deutschland, Italien, Spanien und Portugal machen sich dafür stark, ein Sechs-Milliarden-Euro-Programm ist auf EU-Ebene bereits beschlossen. Nun wird natürlich wieder darüber diskutiert werden müssen, wie und wo welche Maßnahmen wann greifen und wie sie finanziert werden sollen. Mit dem Ergebnis, dass nicht vor 2014 mit einem solchen Programm zu rechnen ist.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Es geht also noch einmal Zeit verloren. Zeit, von der nicht bekannt ist, ob sie überhaupt ausreichend vorhanden ist. Die Jugendarbeitslosigkeit ist das schwerwiegendste Problem in den EU-Staaten, allerdings sehr unterschiedlich verteilt.

Es sind vor allem die südlichen Länder, die mit Rekordzahlen in diesem Bereich aufwarten. In Luxemburg hat sie ebenfalls zugenommen. Auch wenn andere Länder wie Deutschland oder Finnland sogar auf einen Rückgang der Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen bis 25 Jahre verweisen können: sie bleibt das Damoklesschwert der EU. Dabei ist sie nur ein Teilaspekt einer insgesamt dramatischen Situation, die auch die Eltern der jungen Leute trifft und in Ländern wie Italien z.B. dazu führt (laut einer Studie von letzter Woche), dass sich immer mehr Menschen immer weniger Alltagsdinge leisten können, vom Aufbringen anderer Kosten ganz zu schweigen.

Abkehr von bisher geltenden Prinzipien

Besonders betroffen von einer hohen Jugendarbeitslosigkeit sind jene Länder, die im Zuge der Finanzkrise vor dem Kollaps „gerettet“ wurden. Die Diskussion ist bekannt: Totales Sparen oder auch Wachstumsimpulse geben? Ersteres wird vor allen Dingen von den wirtschaftlich stärkeren Staaten verlangt, Letzteres von den eigentlich Betroffenen und von Frankreich. Bislang galt die Sparmaxime, mit den bekannten verheerenden Folgen. Nun soll dagegengehalten werden, damit letzten Endes nicht das eintritt, was der frühere spanische Premierminister Felipe Gonzales ziemlich realistisch mit „austerizider Politik“ bezeichnet hat, das Einsparen bis zum definitiven Ende von Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen.

Doch die Sorge um die jungen Menschen ist nicht uneigennützig. Europa hat bislang zugeschaut, wie eine ganze Generation auf den Finanzaltären geopfert wird, im festen Glauben an einen wirtschaftlichen Aufschwung, der alles wieder regeln würde. Doch der gute Aufschwung blieb bislang aus; Kritiker sagen, durch die getroffenen Maßnahmen habe man ihn sogar verhindert.

Und so ist eine ganze Generation gut ausgebildeter junger Menschen ohne Perspektive und es werden weiterhin Leute mit Hochschulabschluss darauf angewiesen sein, sich als Taxifahrer oder sonst schlecht bezahlter Nebenjobber durchzuschlagen. Und vor allem ohne Berufserfahrung bleiben, was die spätere Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union infrage stellt, so wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit bereits jetzt auch die Absicherung der Rentensysteme immer schwieriger gestaltet.

Hinzu kommen die sozialen Folgen. Wer keine Perspektive hat in einem gesellschaftspolitischen System, wird sich für eben dieses System wohl kaum mehr begeistern lassen, wenn nicht ihm ganz den Rücken zukehren. Das Aufkommen von rechtsextremistischen Parteien in immer mehr europäischen Ländern ist kein Zufall und hat nicht nur nationalistische Gründe.

Auch die mit der Arbeitslosigkeit verbundene Hoffnungslosigkeit bringt Menschen zur Abkehr von bislang geltenden demokratischen Prinzipien. In einem Umfeld, in dem die Finanzmärkte, denen es inzwischen wieder gut geht, weiterhin vorführen, dass, aus ihrer Sicht, die ungezügelte Raffgier der eigentliche Motor der positiven, alles bereinigenden Entwicklung ist, in einem Umfeld, in dem die Politik zögerlich und oft unentschlossen wirkt, wächst die Unsicherheit bei den Bürgern, die beginnen, Sündenböcke für die aktuelle Lage zu suchen. Und sie finden.

Nicht nur, aber zumeist bei ausländischen Mitbürgern, die ihnen angeblich die Arbeitsplätze wegnehmen, auch wenn es die schlechtestbezahlten sind und der Normalbürger diese vorher nie gewollt hätte.

Kurzum, die hohe Arbeitslosigkeit generell und die hohe Jugendarbeitslosigkeit insbesondere bewirken ein Aufbrechen bisheriger sozialer Strukturen und ein Auseinanderbrechen solidarischer Werte, die bislang in Europa Geltung hatten. Und somit sitzt Europa auf einem Fass, von dem es nicht weiß, was darin ist, ob Pulver oder eine mögliche neue, vielleicht positive, vielleicht aber auch schmerzhafte, gesellschaftspolitische Entwicklung.

Man will etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun? Man sollte es schnellstens machen. Es wäre nicht zu früh.