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Zungenfertige Schwätzer

Zungenfertige Schwätzer

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Es gibt einfach zu schöne Zufälle, um sie nicht zu erwähnen. Am 10. Juli 1913 wurde im Death Valley, Kalifornien, die bis dato weltweit höchste Temperatur gemessen: 56,7 °C. Exakt hundert Jahre später war es einer der heißesten Tage aller Zeiten in der Abgeordnetenkammer.

Nach einer siebenstündigen Debatte am vorigen Mittwoch hat die Opposition mit Hilfe der LSAP Neuwahlen erzwungen. In der CSV kursiert seitdem die Legende von einem hinterhältigen Putsch der LSAP gegen den christlich-sozialen „Líder Máximo“.

Claude Molinaro cmolinaro@tageblatt.lu

Es ist einer dieser Tricks, mit denen die CSV versucht, die Tatsachen auf den Kopf zu stellen. Unerreichter Meister in dieser Disziplin ist Jean-Claude Juncker. Das bis dato letzte Beispiel seiner Zungenfertigkeit bot er am Samstag in der RTL-Sendung „Background“. Er wusste selbstverständlich auf alles eine Antwort und vermied es mittels seiner blendenden Rhetorik, sich festnageln zu lassen. Was allerdings nicht bedeutet, dass seine Aussagen zufriedenstellend waren. Ein Trick, den er gerne anwendet und auch am Samstag aus dem Ärmel zog, ist der verdeckte Angriff. Im RTL-Interview erwähnte er, dass die Arbeitslosigkeit mittlerweile bei 6,9 Prozent liegt. Als er Arbeitsminister war, habe sie bei zwei Prozent gelegen. Wäre der Arbeitsminister heute von der CSV, würde man ihn dafür verantwortlich machen, sagte Juncker. Mit „Ich mache den LSAP-Minister nicht dafür verantwortlich“ bringt er Nicolas Schmit in direkten Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosenquote. Nur hat er nicht erwähnt, dass Schmit erst seit Juli 2009 Arbeitsminister ist. Ab 1999 war es François Biltgen (CSV). Und 2009 lag die Quote schon bei 5,5 Prozent. Sie ist kontinuierlich seit 2002 gestiegen.

Erfundene Anschuldigungen

Gerne wendet er auch folgenden Kniff an: Er erfindet Anschuldigungen gegen ihn, um sie dann zu widerlegen. In der Chamber-Debatte vorige Woche sagte er, er habe nie jemanden im Geheimdienst damit beauftragt, gegen Generalstaatsanwalt Robert Biever zu ermitteln. Das klingt sehr glaubhaft. Allerdings hat das nie jemand behauptet. Auf dem CSV-Kongress am vorigen Donnerstag in Hesperingen sagte er, in der Presse seien Stimmen laut geworden, er (Juncker) dürfe sich nicht mehr zur Wahl stellen. Seine Aussage, er würde das nicht mit sich machen lassen, kam natürlich gut bei seinen Anhängern an. Das Problem ist nur, dass das niemand gesagt hat. Aus welchem Grund sollte man auch? Juncker besitzt wie jeder Bürger das aktive und passive Wahlrecht.

Redewendungen eine andere Bedeutung zu geben als die, die sie tatsächlich haben, ist eine weitere Spezialität Junckers. Verantwortung für eine Handlung übernehmen bedeutet, die Konsequenzen dieser Handlung zu ertragen. „Ich habe meine Verantwortung übernommen“, wiederholte der Premier am Samstag. Allerdings macht Verantwortung zu übernehmen ohne persönliche Konsequenzen keinen Sinn.

Juncker zeigte sich enttäuscht darüber, dass das Parlament seinen Erklärungen nicht zugehört habe. Eine zweite Möglichkeit scheint er nicht in Betracht ziehen zu wollen: Die Abgeordneten haben ihm sehr wohl zugehört. Nur, diesmal konnte er eben nicht überzeugen. Das sei ein „Trauerspiel“ und eine „Farce“ im Parlament gewesen, ärgerte sich CSV-Präsident Michel Wolter am Samstag im CSV-Profil. Weil die CSV sich in der Minderheit wiederfand, ist die Arbeit der Volksvertreter eine Farce. Das zeugt nicht von großem Respekt gegenüber einer der demokratischen Institutionen.

Wenn es keine Schlammschlacht im Wahlkampf geben soll, dann sollte die CSV auf den Boden der Tatsachen zurückkommen, denn wie Wolter selbst schrieb: „In welcher Welt leben wir denn?“ Ansonsten könnten die Temperaturen im Herbst Rekorde brechen.