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Zahlen oder nicht zahlen?

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Das Leben gegenwärtiger Geiseln retten oder zukünftige Geiselnahmen verhindern? Lösegelder zahlen oder (offiziell) nicht mit Terroristen verhandeln?

In diesem komplexen moralischen Spannungsfeld versuchen Staaten seit Jahren, eine Lösung im Kampf gegen den transnationalen Terrorismus zu finden. Das tragische Schicksal des in Mali hingerichteten Franzosen Philippe Verdon erinnert die internationale Gemeinschaft daran, dass Geiselnahmen ein eiskaltes Geschäft sind.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Alleine in Nordafrika wurden mehr als 90 Millionen Euro seit 2004 an Terroristen gezahlt. Davon ging Terrorismus-Experten zufolge etwa die Hälfte an Al-Kaida-nahe Gruppierungen. Das Hauptorgan AQMI („Al-Qaida au Maghreb islamique“) soll so 50 Millionen Euro erwirtschaftet haben. Die Schattenseiten dieser eigentlich positiven Rettungsaktionen sind bekannt: Die Lösegelder werden von terroristischen Akteuren genutzt, um ihre Operationen und Waffen zu finanzieren. Eine Geisel kann bis zu fünf Millionen Euro wert sein. Zum Vergleich: In diversen nordafrikanischen Regionen lassen sich Söldner für 5.000 Euro rekrutieren. Wer das Geschäft mit den Geiseln bestimmt, verfügt über finanzielle und menschliche Ressourcen, denen staatliche Institutionen nichts entgegenzusetzen haben.

Die lateinamerikanische Mafia

Kein Zufall also, dass die internationale Staatengemeinschaft nicht einmal im UN-Rat für Menschenrechte über die Lösegeldproblematik diskutieren will. Es handelt sich um nationale Angelegenheiten, die im Sinne der Landesgeschichte gehandhabt werden. Afrikanische und arabische Staaten wehren sich aus Prinzip gegen die Auszahlung von Geldern an Terroristen. Man fürchtet sich vor diesem Terror-„Sponsoring“ vor der eigenen Haustür.

Die Rhetorik westlicher Staaten unterscheidet sich zumindest offiziell. Während die angelsächsische Achse um die USA, Großbritannien und Australien jegliche Zahlungen an Terroristen leugnet – und insgeheim wohl doch häufig ins Portemonnaie greifen muss –, haben Staaten wie Frankreich bis zu Beginn dieses Jahres Zahlungen per se nicht ausgeschlossen. Seit Paris jedoch in Mali interveniert hat, hat sich ein Paradigmenwechsel im Hexagon vollzogen. Die „Operation Serval“ zeigte den französischen Verantwortungsträgern, dass man andere Wege suchen muss, um Geiseln zu befreien. Zu den neuen Mitteln gehört die „Bearbeitung“ des familiären Umfeldes der Entführer – was auch immer darunter zu verstehen ist. Eines ist aber klar: Das Gewicht dieser finanziellen Transaktionen ist nicht zu unterschätzen.

Im Falle Malis wird jedoch häufig eine viel wichtigere finanzielle Quelle verschwiegen. Die terroristischen Kräfte im Norden des Landes beziehen den Großteil ihrer Einnahmen aus dem lukrativen Drogengeschäft. Die lateinamerikanische Mafia hat Mali lange als Tor zu den europäischen Drogenmärkten genutzt. Eine Tatsache, die gerne vergessen wird. Aufgebrachte Angehörige von Geiseln in Mali dürften sich Folgendes denken: Wieso will man nicht zahlen, wenn die Lösegelder nur einen Bruchteil der Einnahmen des Drogengeschäfts ausmachen?

Worüber noch weniger als über die Drogendeals diskutiert wird, sind die Ursachen des malischen Terrorismus. Wer durch die Tuareg-Separatismus-Brille blickt, verkennt die massive Verknappung der Lebensressourcen, Dürren und die entwicklungspolitische Gleichgültigkeit Bamakos gegenüber dem ungeliebten Norden. Die Menschen klammern sich in dieser Gegend an alle finanziellen Quellen – ob legaler oder illegaler Natur. Die Durchführung überhasteter Präsidentschaftswahlen am 28. Juli wird diese historische Problematik nicht lösen können.