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Ausgerechnet

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Die Dopingfälle Gay und Powell schlugen in der Leichtathletik-Welt ein wie eine Bombe. Der 100-m-Sprint, seit dem spektakulären olympischen Sündenfall von Ben Johnson 1988 ähnlich mit Generalverdacht behaftet wie der Radsport, stand wieder im Mittelpunkt der (Doping-) Aktualität.

Eine interessante Aufgabe, der sich die Medien anschließend widmeten, war die, aufzulisten, wie es bei den zehn schnellsten Sprintern aller Zeiten mit der Sauberkeit aussieht. Das Ergebnis war bemerkenswert: Neun von zehn hatten Dreck am Stecken. Nur einer demnach nicht, und das war Usain Bolt. Der Allerschnellste. Ausgerechnet …

Claude Clemens cclemens@tageblatt.lu

Dass dies nicht jeder glaubt bzw. als unumstößliche Tatsache ansieht, egal ob Laie oder Experte, Fan oder unbeteiligter Beobachter, scheint sonnenklar. Bolt, ob er es will oder nicht, wird Zeit seiner Karriere gegen den Verdacht anlaufen müssen.

So wie Froome und Co. immer noch gegen den Verdacht anradeln müssen, und auch andere Sportler aus Ausdauer-Sportarten. Wie sagte der deutsche Pharmakologe und Doping-Experte Fritz Sörgel in deutschen Medien im Zuge der Zweifel an Chris Froomes Leistungen in der Tour de France: „’Das ist alles zum Staunen, nahe an Armstrongs dopingoptimierten Leistungen.› Er bleibe ein Phänomen, ‹wie Usain Bolt, Michael Phelps, Mark Spitz und Co›.“ Ein interessanter Vergleich …

Ebenso interessant wie rezente Entwicklungen im Bereich des Dopings. Auch wenn es in der breiten Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannte Begriffe sind, tauchen sie derzeit im Gespräch mit Experten immer gleich am Anfang auf: die Worte Aicar und GW1516.

Ein Schelm …

Erste Meldungen über diese beiden Präparate gehen auf den Herbst 2008 zurück … kurz nach den Olympischen Spielen. Forscher und Labore meldeten sich damals zu Wort, hatten den Verdacht, die Produkte könnten schon in Peking zum Betrug genutzt worden sein. Die Vermutung, dass dem so sei, besteht demnach schon lange; der Nachweis ist indes erst seit 2012 möglich.

Und zeigt erste Erfolge, durchforstet man die Pressemeldungen seit diesem Zeitpunkt. Allerdings eher „namenlose“: Ein Eisschnellläufer im Oktober 2012 stellte die Premiere dar, es folgten im Frühling 2013 einige zweitklassige Radprofis. Ein Russe, ein Kolumbianer, vier Costa-Ricaner und in der Person des Venezolaners Ubeto ein Fahrer aus einer World-Tour-Mannschaft (Lampre), der höchsten Kategorie im internationalen Radsport.

Nun zur Wirkung beider Produkte: Sie bauen Fett ab und steigern die Effektivität der vorhandenen Muskulatur! Ein Schelm, wer dabei nichts Böses denkt und zuallervorderst an Doping … Der gesunde Menschenverstand lässt dazu noch vor dem geistigen Auge Bilder von den spindeldürren Radfahrer-Beinchen erscheinen, die 2012 und 2013 die Tour de France gewonnen haben.

Und fertig ist er, der erneuerte Generalverdacht.

Im Fall von GW1516 dazu noch mit einer gehörigen Prise Gesundheitsschädigung (Tumorbildung etc.) versehen. Weshalb der Pharma-Riese GlaxoSmithKline 2006 auch die Forschung einstellte. Erhältlich ist das Ding anscheinend aber immer noch. Sogar so sehr erhältlich, dass sich die obersten Doping-Jäger von der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA im März 2013 genötigt sahen, eine offizielle Warnung herauszugeben – das gab es bisher noch nie im Anti-Doping-Kampf.

Dass beim Doping-Betrug schon mal gesundheitliche Bedenken außen vor gelassen wurden, ist nicht neu. Dass wie bei der „richtigen“ Kriminalität die „Bösen“ den „Guten“ in puncto Doping oft einen Schritt voraus sind, ebenfalls nicht. Wieso also ausgerechnet bei solchen „Wundermitteln“ nicht? Die Dopingproben der diesjährigen Tour werden übrigens noch vier Jahre für Nachanalysen aufbewahrt.

Aber nun ist die Tour ja vorbei, und der Radsport rückt etwas aus dem Fokus. In diesen treten mit ihren Weltmeisterschaften ab nun das Schwimmen und die Leichtathletik. Schwimmen, sagen Sie? Genau. Siehe Zitat von Dr. Sörgel weiter oben. Und siehe die Tatsache, dass von den wirklich „großen“ (olympischen) Sportarten das Schwimmen bisher den harmlosesten Anti-Doping-Kampf aufzuweisen hat.

Das Thema Doping ist ganz einfach nicht – auch von einer prachtvoll inszenierten 100-Jährigen – aus der Sport-Aktualität rauszukriegen.