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Der Berg ruft

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Es ist ein trauriges Jubiläumsjahr für den Mount Everest. 60 Jahre nach seiner Erstbesteigung durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay kommt der höchste Berg der Erde nicht aus den Negativschlagzeilen heraus.

Als „Treffpunkt der modernen Juxgesellschaft“ bezeichnete Reinhold Messner unlängst den Berg, den er vor 35 Jahren als erster Mensch ohne Sauerstoffgerät bezwang.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Die grotesken Auswüchse des Abenteuertourismus bewogen die nepalesischen Behörden unlängst, eine Verschärfung der Regeln für Bergsteiger anzukündigen. Zwar müssen die Änderungen noch vom Kabinett verabschiedet werden, dennoch deutet alles darauf hin, dass in Zukunft Everest-Expeditionen stärker kontrolliert werden.

„We finally knocked the bastard off“ (Wir haben den Bastard letztlich bezwungen), sagte Hillary bei der Rückkehr ins Basislager unmittelbar nach der Erstbesteigung. Das Echo in den Medien war gewaltig, nachdem der mit 8.848 Metern höchste Berg der Welt endlich bezwungen war. Die Evening News titelte: „Verbissene Zähigkeit besiegt Everest. Er wird nie wieder erstiegen werden.“ Die britische Zeitung irrte gewaltig, denn seitdem haben es rund 4.000 Menschen auf den Gipfel geschafft.

Anfang der 90er Jahre begann ein regelrechter Everest-Rush. Wurden zwischen 1953 und 1984 insgesamt 177 Besteigungen gezählt, so waren es 1993 erstmals über 100 und zehn Jahre später erstmals über 200. Im Jubiläumsjahr 2013 erreichten bis Ende Mai 600 Bergsteiger den Gipfel.

Zu viel

Viel zu viele für den Berg, der nicht nur von Müll, sondern auch von Leichen übersät ist. Rund 250 Todesfälle gab es bisher am Mount Everest, und der „Bodycount“ riskiert, sich Jahr um Jahr zu potenzieren. Da es bis jetzt keinen Leistungs- oder Qualifikationstest für die Gipfelstürmer gibt und das durch die klimatischen Bedingungen definierte Zeitfenster zum Aufstieg äußerst klein ist, sorgen schwächere Bergsteiger regelmäßig für lebensbedrohliche Staus am Berg. Allein am 19. Mai 2012 starben sechs Bergsteiger, weil sich binnen 24 Stunden 300 Menschen auf den Weg zum Gipfel machten.

Es ist wohl ein Zeichen der Zeit, dass immer mehr Menschen glauben, auf dem höchsten Berg der Welt stehen zu müssen. Das Motto „Höher, schneller, weiter“ mag eine Rolle spielen, auch die Suche nach immer größeren Herausforderungen bzw. Nervenkitzeln. Letzten Endes dürften es aber kommerzielle Aspekte sein, die im Vordergrund stehen. Aus der Besteigung des höchsten Bergs der Welt kann man Kapital schlagen. Das Abenteuer Everest ist wie geschaffen für eine Vermarktung in Form von Büchern oder Vorträgen und zudem ein prima Sprungbrett für eine politische Karriere, wie im Falle des einzigen Luxemburgers auf dem Gipfel, dem heutigen Deputierten Eugène Berger.

Auch für das bitterarme Nepal ist der Mount Everest ein lukratives Geschäft. 7.500 Euro Gipfelgebühr muss jeder Bergsteiger auf den Tisch legen. Insgesamt schlägt das Abenteuer Everest mit zwischen 20.000 und 75.000 Euro zu Buche. Ein persönlicher Sherpa kostet derweil rund 5.500 Euro. Die Sherpas, ohne deren Hilfe nur Profibergsteiger das Ziel erreichen würden, verdienen bis zu 6.000 Euro im Jahr, was bei einem nepalesischen Durchschnittslohn von 500 Euro eine schöne Summe ist.

In Anbetracht der lebensgefährlichen Drecksarbeit ist es aber auch nicht verwunderlich, dass die Sherpas ein größeres Stück vom Kuchen abhaben wollen, zumal nicht wenige Bergsteiger die Einheimischen für bessere Sklaven halten und sie dementsprechend schlecht behandeln.

So kam es Ende April zu einer Schlägerei zwischen Profibergsteigern und Sherpas. Der betroffene Schweizer Extrem-Bergsteiger Ueli Steck führte das auf den zunehmenden Machtkampf zwischen Einheimischen und Profikletterern, an denen die Sherpas nichts verdienen, zurück.

Hätten Edmund Hillary und Tenzing Norgay geahnt, welche Auswüchse der Everest-Abenteuertourismus 60 Jahre nach ihrer großen Leistung angenommen hat, sie wären wohl zweifellos umgekehrt. Und hätten den Bastard Bastard sein lassen.