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Merlot und Nicorette

Merlot und Nicorette

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Die Frage der US-Schuldenobergrenze ist nur vorläufig geklärt, die parteiübergreifende Kooperation stagniert und die europäische Welt der Diplomatie empört sich über die US-Datenspionage und -Abhörstrategien.

Zumindest nach außen hin. Es sind keine rosigen Zeiten für Washington. Und dennoch scheint es Europas Führungsspitzen mit ihrer kritischen Rhetorik nicht ganz so ernst zu sein. Eine Unterbrechung der Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA, das der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, gefordert hatte, wurde laut der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht gefordert. Gegen Letztere soll eine NSA-Abhöraktion gelaufen sein, wie kurz vor dem letzten EU-Gipfel bekannt wurde. Wenn es um die weltweit größte Freihandelszone mit 800 Millionen Einwohnern geht, die Schätzungen zufolge bis zu zwei Millionen neue Arbeitsplätze schaffen könnte, gibt man sich am Ende doch wieder typisch europäisch: also kleinlaut. Um den alten Alliierten Europa müssen sich die USA demnach keine Sorgen machen. Doch wie sieht es innenpolitisch aus? Obschon das Shutdown der US-Regierung vorläufig beendet wurde, kam nur ein kurzfristiger Deal zustande. In einigen Monaten geht das gleiche Spiel wieder von vorne los.
Die Tea Party sieht sich in ihrem unverantwortlichen Verhalten bestärkt und wird in die Vollen gehen. Mit ihren veralteten und radikalen Ideen schafft sie in den USA eine den politischen Konsens zerstörende Atmosphäre. Dabei lässt sich ein massiver Anteil des von ihr verhassten US-Schuldenbergs auf die Kriegsgelüste (z.B. Irak, Afghanistan) und die blinde Deregulierung des US-Finanzsystems (Stichwort: Finanzkrise) durch die Republikaner zurückführen.

Dhiraj Sabharwal
dsabharwal@tageblatt.lu

Staatsmännische Tradition

Dies scheint den harten Kern von diesen etwa zwei Dutzend der erzkonservativsten Republikaner nicht zu stören. Das soziale Reformprojekt „Obamacare“ hingegen schon. Mit einem beängstigenden und befremdlich wirkenden ideologischen Kreuzzug versuchen sie, die Gesundheitsreform mit allen Mitteln zu stoppen. Demagogen wie Sarah Palin oder Ted Cruz vergessen dabei aber eins: Sie könnten mir ihrer Protestpolitik die gesamte Republikanische Partei schwächen. Eine innere Spaltung deutet sich an. Gemäßigtere konservative Kräfte lehnen die Schwarz-Weiß-Malerei der Tea Party zunehmend ab.
Eine grundsätzliche Feststellung zur US-Politik hat darüber hinaus Bestand: Eine tiefgreifende Kooperation zwischen Demokraten und Republikanern, wie man sie in den späten 1940er- und 1950er-Jahren beobachten konnte, ist derzeit nicht vorstellbar.
Zu Zeiten des Kalten Krieges waren sich zahlreiche US-Politiker zumindest in außenpolitischen Fragen einig. Selbst wenn wirtschaftspolitische Themen wie die Steuerfrage beide Parteien seit jeher gespaltet haben, konnte sich durch die gemeinsame außenpolitische Agenda eine gemäßigte, zeitweise sogar kollegiale politische Streitkultur durchsetzen. Man erinnere an den Demokraten Lyndon B. Johnson und sein republikanisches Gegenüber Everett Dirksen, die in bester staatsmännischer Tradition bei einem Glas Bourbon gemeinsame Lösungen fanden. Solche Treffen soll es durchaus zwischen US-Präsident Barack Obama und dem Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, gegeben haben. Beide Männer teilen eine gewisse Sympathie füreinander. Folgt man dem US-Starjournalisten Bob Woodward, sind Merlot, Ice Tea sowie Zigaretten und Nicorette ihr kulinarisches Pendant zum Bourbon – Obama hat das Rauchen vorläufig aufgegeben.
Einen Nachteil haben die beiden US-Spitzenpolitiker im Vergleich zu ihren Vorgängern Johnson und Dirksen aber: Sie müssen sich nach ohnehin komplizierten Verhandlungsrunden mit der reaktionären Tea Party auseinandersetzen – einer politischen Bewegung, die vorgibt, Staatsschulden reduzieren zu wollen, und mit ihren perfiden Taktiken das genaue Gegenteil erreicht.