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Der Absturz in die Barbarei

Der Absturz in die Barbarei
(AFP)

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Am 11. November wird traditionell des Waffenstillstands von 1918 gedacht, welcher den Ersten Weltkrieg beendete. Heuer kommt diesem Datum gegenüber den vergangenen Jahren eine erhöhte Aufmerksamkeit zu, da sich aus Anlass des 100. Jahrestages des Kriegsbeginns im kommenden Jahr bereits jetzt im Buchhandel die Tische biegen unter der Last der Wälzer zum Thema ’14-’18.

Die diesjährigen Feiern in Frankreich wurden leider überschattet von den Störungsaktionen Rechtsradikaler, welche diesen Tag des Gedenkens dazu missbrauchten, gegen die Politik von Präsident Hollande und für ihre eigene bornierte und reaktionäre Sicht der Welt zu demonstrieren. Im Ersten Weltkrieg wurden Millionen junge Männer durch den Fleischwolf gedreht.
Einfach so. Völlig sinnlos. Von Generälen, denen ein Menschenleben nichts wert war. Und die sich offenbar kaum etwas dabei dachten, für ein Vorrücken der Frontlinie von ein paar hundert Metern Zehntausende Menschenleben zu opfern.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Den wirklichen Horror zeigen

Die schlimmste Konsequenz dieses Konfliktes war aber wohl, dass durch ihn die Grundlagen für den Zweiten Weltkrieg und die Schoah gelegt wurden.

Die Buchindustrie ist wie gesagt für das Zentenarium gerüstet, doch erzeugt vieles von dem, was da so produziert wird, einen bitteren Beigeschmack. Die Literatur zum Thema müsste doch eigentlich prioritär den Horror dieses Konfliktes aufzeigen.

Sie müsste Bilder von Soldaten zeigen, denen eine Granate das Gesicht weggerissen hat, oder die mit aufgerissenem Bauch jämmerlich im Stacheldraht verbluten.

Doch nur allzu oft zeigt die populäre Kriegsliteratur harmlose Vergleiche von konkurrierenden Jagdflugzeugen oder aber sie erläutert – mittels moderner Computergrafik – das Funktionsprinzip eines Torpedos. Das freut vielleicht den Militaristen, sorgt aber gleichzeitig für eine unerträgliche Verharmlosung dieser Tragödie.

Dieser Krieg war nicht eine Art sportlicher Wettbewerb mit Haubitzen und Bajonetten, in dem heldenhafte Soldaten den Sieg für ihr jeweiliges Vaterland erringen wollten.

Er war im Wesentlichen ein Massaker von bis dahin nicht bekannten Dimensionen, im Laufe dessen jenes Europa, das sich – von rassistischem Überlegenheitswahn benebelt – während der gleichen Epoche anmaßte, den „Kaffern“ in den Kolonien die Zivilisation bringen zu wollen, in einem Abgrund von Barbarei, Entmenschung und Kulturlosigkeit versank.

Die Gefahr, dass Europa noch einmal einen vergleichbaren Konflikt erlebt, scheint zurzeit ziemlich gering. Dennoch darf das Gedenken an diesen Krieg nicht mit patriotisch-militaristischem Geschwurbel zugekleistert werden.

Die beste Garantie für das „Nie wieder“ besteht in der Tat darin, dass das unfassbare Grauen, das der „Große Krieg“ produzierte, niemals vergessen wird.