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Steinmeier versus Merkel

Steinmeier versus Merkel
(AP)

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Die „GroKo“ ist besiegelt. Kaum sind die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre neue Regierung im Parlament vereidigt, drängt sich eine zentrale Frage auf: Wie wird die Europapolitik der Bundesrepublik künftig aussehen?

Merkel reiste am Mittwochabend traditionsgemäß zuerst nach Paris, um Präsident François Hollande und Frankreichs außenpolitisches Gesicht, Laurent Fabius, zu treffen. Mit von der Partie: der neue deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er bekleidete dieses Amt bereits vor fünf Jahren. Man erhofft sich im Elysée neue europapolitische Impulse aus der Bundesrepublik, und allen voran von der SPD. Zahlreiche Kritiker machen Merkels starre Haltung während der letzten Krisenjahre für eine zunehmende Europafeindlichkeit in der EU verantwortlich. Das „Merkozy“-Intermezzo ist vielen noch in Erinnerung.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Die wachsenden anti-europäischen Ressentiments werden im Hinblick auf die Europawahlen 2014 mit großer Besorgnis wahrgenommen. Die Krise der Eurozone ist nämlich für diese Wahlen von Bedeutung: sei es aus Sicht von Wählern wie in Griechenland, die unter den Sparmaßnahmen der EU-Troika zu ersticken drohen, oder aber aus der Sicht von britischen Bürgern, die seit jeher ein skeptisches Verhältnis zur EU pflegen. Die breite Palette aus Europamüden könnte den Rechtspopulisten auf den Leim gehen, wenn sich der europäische Diskurs nicht wandelt. Was Außenminister Jean Asselborn von Deutschland als eine „neue Kultur der Solidarität“ fordert, nennt Laurent Fabius „den Europäern ermöglichen, Europa erneut lieben zu können“.

„Vergipfelung“ von Politik

Umso mehr stellt sich die Frage, wie der neue deutsche Chefdiplomat mit dieser politischen Stimmung in Europa umgeht. Sein Amtsvorgänger, der doch eher unsichtbare Guido Westerwelle, wurde in seiner Amtszeit zur diplomatischen Nummer drei. Auf Platz eins: Angela Merkel, die wichtige außenpolitische Dossiers in den letzten Jahren zunehmend selbst übernahm. Auf Platz zwei: der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, der die Europapolitik der Bundesrepublik maßgeblich mitbestimmte. Wird es Frank-Walter Steinmeier demnach gelingen, sich nicht an den Rand des diplomatischen Parketts drängen zu lassen?

Einiges deutet darauf hin. Ein Beispiel: „Gipfel sind wichtig. Aber jeder weiß auch: Außenpolitik findet in der Substanz nicht auf den Gipfeln statt, sondern dazwischen und davor. Was nicht seriös vorbereitet ist, lässt Gipfelbemühungen scheitern, die Beweise dafür füllen Bibliotheken.“ Eine eindeutigere Kritik hätte Steinmeier am Tag der Amtsübergabe nicht an Merkel üben können. Die „Vergipfelung“ von Politik ersetze nicht Außenpolitik, sondern setze sie voraus. Damit positioniert sich Steinmeier bereits jetzt offensiver, als es sein Amtsvorgänger je getan hat.

In der gleichen Amtsantrittsrede heißt es zur Neuerfindung der deutschen Außenpolitik: „Und die hat nichts zu tun mit dem halbstarken Gerede über wachsenden deutschen Einfluss und neue deutsche Macht. Jeder, der die Zahlen kennt, weiß, dass in den nächsten Jahrzehnten unser Anteil an der Weltbevölkerung und am Welthandel kontinuierlich abnehmen wird. Für Mittelmachtsfantasien nach dem Motto ‹Wir sind wieder wer› ist da wenig Grundlage!“

Aus diesen Ausführungen lässt sich eine nüchterne, aber relevante Erkenntnis ziehen. Mit Steinmeier hat Merkel einen ebenbürtigen Gegenspieler, der gewillt ist, Deutschland eine solidarischere außenpolitische Note zu verpassen – und sei es nur, um den sozialen Frieden in Europa wiederherzustellen, der unweigerlich zu Wirtschaftswachstum in der EU führt und somit für das deutsche Exportmodell von Vorteil ist.