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Das Wintermärchen

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Das Trauerspiel rund um die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 am besten auf den Punkt brachte wohl der englische Trainer und passionierte Kleintierzüchter Ian Holloway: „Wie erkläre ich bloß meinen Truthähnen, dass wir Weihnachten verlegen?“

Jérôme Valcke, Generalsekretär des Fußball-Weltverbands FIFA, hatte vergangene Woche für reichlich Aufregung gesorgt, als er in einem Interview die Verlegung der Wüsten-WM in die Wintermonate ankündigte. Der Aufschrei war dermaßen gewaltig, dass die FIFA schnell zurückruderte und bekräftigte, dass noch keine definitive Entscheidung getroffen sei.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Aber wie soll die definitive Entscheidung denn aussehen in Anbetracht von Katars Durchschnittstemperaturen von 35 Grad Celsius und regelmäßigen Spitzenwerten von 50 Grad, ganz zu schweigen von einer Luftfeuchtigkeit von nicht selten 90 Prozent in den Sommermonaten? Braucht es wirklich einen Bericht der medizinischen FIFA-Kommission, um festzustellen, dass eine Sommer-WM in der Wüste grober Unfug ist?

Lediglich die Russen dürften sich momentan an den Diskussionen über die Weltmeisterschaft in Katar erfreuen. Denn so kommt zurzeit niemand auf die Idee, die ebenfalls gleichzeitige (und genauso zum Himmel stinkende) Vergabe der WM 2018 nach Russland infrage zu stellen. In diesem Kontext ist es doch etwas verwunderlich, warum noch niemand daran gedacht hat, 2018 im Winter zu spielen. Schließlich wäre dann der Beweis erbracht, dass bei -20°C gekickt werden kann. Und wenn das geht, dann ja wohl auch vier Jahre später Spiele bei +50°C unter der katarischen Sommersonne.

Platini und Co.

Zu streng mit den gestandenen Herren der FIFA-Exekutive sollte man jedoch nicht ins Gericht gehen. Dass sie bei ihrem Votum zur WM-Vergabe die klimatischen Bedingungen in Katar vergessen haben, kann ja mal passieren. Und sicher ist auch, dass sie genau wie Ex-Mitglied Franz „Kaiser“ Beckenbauer nie einen Sklavenarbeiter dort gesehen haben.

Das gilt natürlich auch für den allmächtigen Michel Platini, als UEFA-Präsident automatisch einer der Vizevorsitzenden des FIFA-Exekutivkomitees. Dass der halbstaatliche Gazprom-Konzern neuerdings Champions-League-Premiumsponsor ist und die katarische Tourismusbehörde groß in den französischen Fußball eingestiegen ist, kann ja auch ein Zufall sein.

Genau wie die „Entzerrung“ der Spieltage in den Qualifikationskampagnen. Die Spiele werden künftig im Tagesrhythmus stattfinden. Der Wettbewerb würde somit übersichtlicher, argumentiert man bei der UEFA, und dadurch fanfreundlicher. Der Fußballanhänger behält also den Überblick und kann sich von Donnerstag bis Dienstag jeden Abend Qualifikationsspiele anschauen. Nur, wer will das schon? Dass der Fußballfan irgendwann übersättigt ist, beweist das Beispiel Europa League. Die interessiert seit der Aufblähung der Champions League kaum jemanden mehr.

Worum es wirklich bei der „Entzerrung“ des Spielprogramms geht: Sie ist Grundvoraussetzung für noch höhere Einnahmen beim Verkauf von Übertragungsrechten. Denn jetzt haben die (Pay-)TV-Sender an sechs anstelle von zwei Tagen exklusive Länderspiele anzubieten und dürften bereit sein, dafür auch dementsprechend mehr zu bezahlen.

Es geht also wie immer um das liebe Geld, nicht um den Fan. Genau wie bei einer Weltmeisterschaft in Katar. Und dass Geld korrumpiert, ist nun wahrlich keine neue Erkenntnis.