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In kleinen Ewigkeiten

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Unsere Zeit ist schnelllebig.

Berieselt von „Wissen“ in Form von zahlreichen, nicht zusammenhängenden Informationen zu immer wieder neuen Themen, auf immer schnelleren Kommunikationsträgern, hat sich die Tendenz herausgeschält, diese kurz aufzugreifen, sich vorübergehend damit zu beschäftigen, um dann wieder tumb in die nächste Nachrichtenflut einzutauchen. Ohne zu bemerken, wie sehr man dabei abstumpft.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Gegenüber dem Syrien-Konflikt z.B., der am Samstag ins vierte Jahr ging. Das Hickhack um eine diplomatische Lösung des Bürgerkriegs, der laut Experten militärisch nicht zu entscheiden ist, dauert bereits ebenso lange. Die Lage der Flüchtlinge wird dennoch immer dramatischer, unzähligen Kindern wird das Recht auf ein normales Leben und eine normale Entwicklung geraubt, Menschen verhungern heute in einem Land, um das sich doch alle so besorgt zeigen. Trotz vielfacher internationaler Anstrengungen gelingt es nicht, einem Ende der mörderischen Auseinandersetzung näherzukommen. Zu viele Interessen von zu vielen Akteuren blockieren. Obwohl in den letzten drei Jahren 146.000 Menschen starben, bleibt der einzige Lichtblick die im Februar verabschiedete Resolution zum humanitären Zugang zu den Menschen in Not, die dringender Hilfe bedürfen, die von der Luxemburger Präsidentschaft des UN-Weltsicherheitsrates zusammen mit Australien und Jordanien ausgearbeitet wurde. Ihre Umsetzung bleibt schwierig.

Abgestumpft auch angesichts der Vorgänge in der seit ihrem Bestehen krisengebeutelten Zentralafrikanischen Republik, wo immer noch täglich Zivilisten von anderen Zivilisten auf brutalste Art abgeschlachtet werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Die christlichen Anti-Balaka machen Jagd auf die früheren muslimischen Seleka-Rebellen, um sie mit Macheten zu zerstückeln. Kleinen Kindern wird der Kopf abgehackt, weil ihre Eltern die falsche Religion haben. Frankreich hat eingegriffen mit 2.000 Mann der Mission Sangaris. Auch die 6.000 Mann der Misca-Truppe der Afrikanischen Union versuchen, dem Massaker Einhalt zu bieten.

Und so wird das Morden weitergehen

Bislang mit wenig Erfolg, außer vielleicht in der Hauptstadt Bangui. Doch der religiöse Hintergrund ist eine Mär. Es geht um politische und wirtschaftliche Macht in einem an Bodenschätzen nicht armen Land, das zu Zeiten des selbsternannten Kaisers Bokassa in den 70er-Jahren vor allen Dingen wegen seiner Diamanten berüchtigt war. Die Religion wird zu politischen Zwecken missbraucht. Einmal mehr. Ein gefährlicher Vorgang, da die Gefahr einer Verselbstständigung des „Monsters“ Religionskrieg besteht, wie der Hohe Kommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, im Weltsicherheitsrat warnte. Eine solche Entwicklung bezeichnete er als zerstörerische Gefahr für die Zentralafrikanische Republik und die ganze Region. Umso mehr als der religiöse Aspekt Motivation für Terroristen sein könnte, einzugreifen. Konkrete Drohungen dieser Art gebe es bereits, hat der Außenminister der Zentralafrikanischen Republik, Toussaint Kongo Doudou, letzte Woche vor der UN unterstrichen. Zugleich bat er eindringlich um zusätzliche militärische Hilfe, ansonsten sei sein Land verloren. Man solle an die toten Kinder denken, an die vergewaltigten kleinen Mädchen, so der Diplomat, der seinen Hilferuf wegen zu vieler Emotionen an dieser Stelle abbrach.

Nun sollen also zusätzliche Truppen dorthin entsandt werden. Zwölftausend Mann werden Sangaris und Misca verstärken. Vorher hatte die Europäische Union auf Drängen Frankreichs bereits zusätzliche 1.000 Soldaten versprochen.

Getan hat sich bislang wenig. Und die 12.000 Soldaten und Polizisten, die UN-Generalsekretär Ban Ki-moon schicken will, werden wohl erst in sechs Monaten einsatzbereit sein. Das wird zu spät sein. Und so wird das Morden weitergehen. Seit Generationen ansässige Menschen werden gezwungen sein, einmal mehr, trotz internationaler Hilfsversprechen, sich im eigenen Land zu verstecken oder in ein Nachbarland zu flüchten. Über all dies und die weiteren Entwicklungen, auch in anderen Regionen, wird die Welt bestens informiert bleiben. Sie wird weiteres Elend zur Kenntnis nehmen, weiteres Töten, mit der gewohnten Schnelllebigkeit. Ohne daran zu denken, dass während all dieser Zeit jeder Meter auf der Suche nach sicherem Schutz vor Scharfschützen oder auf der Flucht vor mordenden Horden für die Menschen in Syrien, der Zentralafrikanischen Republik – und leider nicht nur dort – sich in einer anderen Zeiteinheit rechnet: in kleinen Ewigkeiten.