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Denkschemata

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Der Blick, der in einer Gesellschaft auf Ereignisse und Entwicklungen geworfen wird, ist auch durch historische, soziale und wirtschaftliche Faktoren sowie durch unterschwellige und manchmal sogar offenkundige Ideologien geprägt.

Werden solche Denkschemata nicht kritisch hinterfragt, riskiert man, Hintergründe und Ungerechtigkeiten zu übersehen und in die Vereinfachungsfalle zu tappen.

Michelle Cloos mcloos@tageblatt.lu

So zeigt das Beispiel der Ukraine und das der Krim, dass die langjährigen Denkkategorien der Vergangenheit noch nicht überwunden sind und die Kategorisierungen aus der Zeit des Kalten Krieges in manchen Köpfen weiterleben. Demnach wird Russland zum Bösewicht stilisiert, während die Stellungnahme des Westens nicht weiter hinterfragt und geostrategische Überlegungen und Interessen außen vor gelassen werden.

Ein weiteres Beispiel von festgefahrenem Denken ist der Nahost-Konflikt. Die meisten westlichen Staaten (allen voran die USA) nehmen bei dem Thema immer wieder eine durch Hypokrisie geprägte „Deux poids, deux mesures“-Haltung ein. Der sogenannte Friedensprozess kommt keinen Zentimeter voran. Unterdessen werden vor Ort unaufhaltsam neue Fakten geschaffen, denn die Regierung in Tel Aviv treibt den Siedlungsbau munter und ungestört voran. Aber dem Partnerstaat Israel wird Straffreiheit gewährt.

Doch nicht nur das Verhalten der Politik in puncto internationale Beziehungen folgt gewissen Denkschemata. Nimmt man die EU-Politik der vergangenen Jahre unter die Lupe, dann muss man feststellen, dass diese stark durch neoliberale Dogmen geprägt war, und das entgegen jeglichem gesunden Menschenverstand. So hat der europäische Austeritätskurs die soziale Krise noch verschärft, und er richtet weiterhin erheblichen Schaden an.

Sogar die OECD (die keineswegs linksgerichtet ist) warnte diese Woche in ihrem Bericht vor „den langfristigen sozialen Folgen der andauernden Wirtschafts- und Finanzkrise“ und ermahnte die Staaten, „pauschale Kürzungen von Sozialleistungen zu vermeiden“. Etliche Studien haben eindeutig, und ohne den geringsten Hauch von Zweifel zu lassen, bewiesen, dass der Austeritätskurs kontraproduktiv und sozial wie wirtschaftlich betrachtet sogar schlichtweg gefährlich ist. Trotzdem kann man in Europa noch immer keine Kursänderung feststellen.

Die anstehenden Europawahlen bieten allerdings die Möglichkeit, auf die dringliche Notwendigkeit eines Wechsels aufmerksam zu machen und letzteren auch herbeizuführen.

Die Macht der Sprache

Die ideologische Beeinflussung der Denkweisen beginnt allerdings bereits in unserem Sprachgebrauch. Denn Sprachen sind niemals neutral.

Die Sprache konstituiert die Wirklichkeit und umgekehrt. So haben sich in der jüngsten Vergangenheit zahlreiche Wörter neoliberaler Prägung (wie „Kompetitivität“, „Flexibilisierung“, „Employability“, „Strukturreformen“, um nur einige zu nennen) in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs eingegliedert und sich dort einen solch festen Platz gesichert, dass sie nur noch selten in Frage gestellt werden.

Schlagwörter sowie politische Haltungen und Entscheidungen gilt es folglich, kritisch und mit einer gewissen Distanz zu hinterfragen und wenn nötig zu überdenken, um Vereinfachungen, Klischees und falsche konventionelle Sichtweisen zu entlarven.