Headlines

Noch immer ein Tabu

Noch immer ein Tabu
(dpa-Archiv)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Im November 2009 nahm sich der Torwart einer Bundesliga-Fußballmannschaft und zugleich der deutschen Nationalmannschaft das Leben.

Und obwohl es sich, wie so oft gesagt wird, bei einem Suizid um eine ganz persönliche, private Sache handelt, berichteten rund um den Globus die Medien über diesen Tod. „Auf der einen Seite besteht ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung über diesen Tod, und im Sinne der öffentlichen Aufgabe muss dieses Interesse befriedigt werden“, hieß es damals. Die (seriösen) Medien mussten in diesem Fall einen Spagat zwischen ethischer Verantwortung und öffentlicher Aufgabe machen.

Roger Infalt rinfalt@tageblatt.lu

Die Berichte waren damals geprägt von sensationeller Darstellung, allgemeiner Kontextualisierung und Personalisierung. Eine Aufklärung über Suizid im Allgemeinen fand aber kaum bis überhaupt nicht statt.

Nicht wegschauen

Es war eigentlich damals nur dem Bekanntheitsgrad dieses Torwarts zu verdanken, dass das Thema Suizid überhaupt so breit gestreut einen Platz in den Medien fand. Nun ist es aber so, dass die Anzahl an Suiziden auch in unserem Land jedes Jahr schätzungsweise doppelt so hoch ist wie die Anzahl der Verkehrstoten. Dennoch finden sich in Zeitungen häufiger Berichte über Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang als Meldungen über Selbstmorde.

Als Grund dafür wird der Nachahmungseffekt (Werther-Effekt) angeführt. Studien und Untersuchungen haben gezeigt, dass Berichte über Suizide weitere Selbstmorde auslösen können. „Eine Person, die psychisch labil ist und den Freitod als einen möglichen Ausweg sieht, kann durch entsprechende Berichte in der Zeitung in ihrer Entscheidung bestärkt werden“, sagen Fachleute.

Die gleichen Spezialisten erklären jedoch auch, dass solche Berichte in den Medien auch in umgekehrter Form wirken können (Papageno-Effekt), also dazu führen können, dass Selbstmorde verhindert werden. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn ausführlich über eine erfolgreiche Krisenbewältigung berichtet werde.

Es darf also nicht sein, dass die Öffentlichkeit beim Thema Suizid einfach wegschaut und so tut, als würden nur Geisteskranke so etwas tun.
Dass sich Mitmenschen – wie an diesem Wochenende erneut – vor heranrasende Züge werfen (um nur dieses Beispiel zu nennen), zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, dass ein öffentliches Bewusstsein für die Problematik geschaffen wird. Es hilft nichts, Suizidfälle gänzlich zu verheimlichen oder unter irgendwelchen Vorwänden Statistiken dazu in einer Amtsstube hinter Schloss und Riegel zu verstecken. Das Thema muss enttabuisiert werden, denn die Prävention versagt auch wegen der grundsätzlichen Ablehnung des Suizids, der Entweder-oder-Haltung, die die ausgeprägte Haltung der Gesellschaft, „Schlechtes“ zu verdrängen und von einem Idealbild auszugehen, widerspiegelt.

Moralische und religiöse Aspekte der Suizidthematik gehören nicht mehr in den Vordergrund gestellt, und die mündigen, urteilsfähigen Suizidwilligen müssen endlich von der gesamten Gesellschaft ernst genommen werden.