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Geschichte einer Zahl

Geschichte einer Zahl

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„Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken.“ Dieses Zitat wird Benjamin Disraeli, einem der beiden bestimmenden britischen Premierminister des 19. Jahrhunderts, zugeschrieben, u.a. von Mark Twain.

Dass die Zuhilfenahme von Zahlen einem Argument oder einer Gefühlslage enorm schädliche Überzeugungskraft verleihen kann, dürfte mittlerweile bekannt sein.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu

Den Beweis dafür, dass dieses Prinzip immer noch funktioniert, könnte– ungewollt – eine Statec-Studie Mitte vergangener Woche über die wirtschaftlichen Konsequenzen der Einführung des automatischen Informationsaustausches liefern. Am beeindruckendsten – und von den Medien am meisten übernommene „Kernaussage“ – war die Zahl über den möglichen Verlust von Arbeitsplätzen.

In der Tat ist der Verlust von zusätzlichen 2.000 Arbeitsplätzen in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein weiteres Problem für das Land. Doch die Studie geht an der Realität des gesamten Finanzplatzes vorbei. Denn während eben auf der einen Seite Geschäftsfelder geschlossen werden, machen sich auf der anderen Seite wieder neue auf. Ob am Ende dieses Prozesses in vier Jahren (den Zeitraum, den die Macher der Studie angeben) die Arbeitslosigkeit tatsächlich gestiegen ist, das weiß man schlicht nicht.

Man muss fairerweise sagen, dass die Macher der Studie auf eine ganze Reihe Einschränkungen, die ihre Produktion betreffen, aufmerksam machen – und sei es nur durch die Formulierung, dass es sich hier um einen Versuch einer Quantifizierung handelt, der sich eben nur auf einen Bereich des Finanzplatzes konzentriert.

Neben dem Eigengebrauch, wie die Autoren in der Studie erklären, wollte das statistische Amt wohl mit der Publikation dieser „Berechnung“ nur mitteilen, wie wichtig die Vermögensverwaltung und das Private Banking in und für Luxemburg sind und sein werden – auch wenn gerade diese Antwort irgendwie nicht geliefert wird.

Bleibt die Frage, was bei den luxemburgischen Medienkonsumenten hängen bleibt.

Im Großen und Ganzen in diesem Fall kann man durchaus zu behaupten wagen, wohl nur Schlagwörter – also dass das „Ende des Bankgeheimnisses“ das Land 2.000 Arbeitsplätze kosten wird. Dass die Realität des Finanzplatzes mittlerweile weit über die Vermögensverwaltung, das Private Banking, ja über den Bankenplatz hinausgeht, müsste bekannt sein. Ob die meisten Bürger dies jedoch richtig einschätzen können, bleibt gerade im Zeitalter von Internet und dem schnellen Konsum von Radio- und TV-Nachrichten fraglich.

Allein von ihrer Natur aus gesehen entsteht bei diesen Medienarten quasi zwangsläufig das klassische Problem zwischen einer an sich schon problematischen Beschreibung einer komplexen Realität und der Vulgarisierung – oder anders ausgedrückt der Verständlichmachung – für das breite Publikum.

Natürlich müssten sich alle Medienschaffenden hier wie bei anderen Themen an die eigene Nase fassen. Gerade die „schnellen Medien“ kommen – ob sie wollen oder nicht – kaum über die Ereignisberichterstattung hinaus. Das Gleiche gilt allerdings auch für den Medienkonsumenten – er muss sich dessen bewusst sein.

Problematischer Luxus

Dass Information in der heutigen Zeit immer mehr zu einem Luxus – im mehrdeutigen Sinn – verkommt, ist in vielerlei Hinsicht besonders gefährlich für Demokratien. Viele befürchten dadurch den schleichenden Niedergang dieser Regierungsform.

Auf den Bereich der Wirtschaft angewandt, kann derselbe Umstand schwerwiegende Folgen für das eigene Portemonnaie haben. Die Geschichte wäre nicht weiter problematisch, wenn die Akkumulation von „schlechten“ oder vulgarisierten Nachrichten nicht auch einen Einfluss auf die Gemüter und Entscheidungen aller Wirtschaftsakteure hätte. Zum Beispiel aus Angst vor der Zukunft die geplante Investition (ein neues Auto für den Haushalt oder eine neue Maschine für den Betrieb) aufzuschieben oder ganz auszulassen.

Wenn es stimmen sollte, dass die Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie ist, dann wird man sehen müssen, ob das Zeitalter der überschnellen Berichterstattung langfristiges Wachstum bringen kann.