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Zurück hinter die Grenzen

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Der Europawahlkampf läuft so langsam in allen EU-Mitgliedstaaten an. Nach all den Krisenjahren werden es die wahlkämpfenden Politiker schwer haben, die Bürger für die Wahlen zu begeistern. Zu tief sitzt in den Köpfen die Ansicht, dass die EU für die ganze Misere verantwortlich ist.

Obwohl manche Euro-Länder eigentlich nur an den Rand des Bankrotts getrieben wurden, da sie mit Milliardenbeträgen Banken retten mussten, die sich verzockt hatten. Die Finanzkrise löste eine Wirtschaftskrise aus, von der alle mehr oder weniger betroffen waren. Dass anschließend vor allem die EU-Staats- und Regierungschefs, unter der Anleitung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, immer wieder zu langsam reagiert haben und mit ihren Vorgaben an die von der Schuldenkrise betroffenen Euro-Länder die Falschen für die Krise haben zahlen lassen, hat bei den meisten Wählern ein nachträglich negatives Bild der EU hinterlassen.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Nicht nur in den betroffenen EU-Staaten hat sich bei vielen Menschen der Eindruck festgesetzt, dass sie „Brüssel“ im Ernstfall ausgeliefert sind und man sich doch lieber auf sich selbst verlassen sollte. Aus dieser sich ausbreitenden tiefen Skepsis gegenüber der EU wollen so manche Politiker in ihrem Europawahlkampf elektorales Kapital schlagen. Und einige von ihnen zeigen, dass sie eher zurück in die Vergangenheit als in die Zukunft wollen.

Sicherlich bedurfte es nicht erst der Erkenntnisse aus den Krisenjahren, damit einer wie der EP-Abgeordnete und Chef der britischen Unabhängigkeitspartei (UKIP), Nigel Farage, mit der Behauptung, die 26 Millionen Arbeitslosen auf dem Kontinent seien darauf aus, die Insel zu stürmen und den Briten die Jobs wegzunehmen, für ein Kappen der Bande mit der EU Stimmung macht. Der Anführer der Souveränisten im Europäischen Parlament hat mit diesem Unsinn offenbar Erfolg beim Wahlvolk, denn in Umfragen liegt seine UKIP an erster Stelle. Und Farage verweist damit den britischen Premierminister David Cameron auf den zweiten Platz, der mit seiner Forderung, Kompetenzen aus Brüssel zurück nach London zu holen, offenbar nicht punkten kann.

Renationalisierung

Der Diskurs des Rückzugs, verbunden mit der Forderung, der Nationalstaat sollte wieder mehr die Kontrolle übernehmen, breitet sich offenbar auch auf dem Kontinent aus. Als zu Jahresbeginn die Bürger aus Rumänien und Bulgarien in den Genuss der vollen Freizügigkeit kamen, wurden die gleichen Ängste geschürt. Nicht nur in Großbritannien, auch in Deutschland und in Frankreich war die Aufregung groß, dass nun die „Armen“ aus Osteuropa nicht nur heimische Arbeitsplätze wegnähmen, sondern unberechtigterweise ebenfalls Sozialleistungen abzocken würden.

Die dort am lautesten schrien, waren nicht die üblichen Verdächtigen, sondern Vertreter der sogenannten etablierten Parteien, vornehmlich konservativer Herkunft. Die dahinter steckende Forderung: Zieht die Grenzen wieder hoch.

In Frankreich machte jüngst der ehemalige Minister für europäische Angelegenheiten und UMP-Politiker Laurent Wauquiez nicht nur mit seinen absurden Ideen über ein Kerneuropa ohne Luxemburg auf sich aufmerksam. Er behauptete zudem, dass Schengen ein Misserfolg sei. Und tatsächlich findet sich im Programm der UMP die Forderung, dass Frankreich seine Beteiligung am Schengen-Abkommen auf Eis legen sollte, wenn nicht bestimmte Bedingungen, die zwar zum Teil berechtigt sind, erfüllt werden sollten. Ohne Not wird hier jedoch eine Stimmung in der Bevölkerung geschürt, die es nachher als angemessen erscheinen lässt, dass eine große Errungenschaft im europäischen Integrationsprozess, wenn auch nicht abgeschafft, so doch erheblich eingeschränkt werden soll.

(Man sollte doch einmal den rund 75.000 französischen Grenzgängern an einem Montagmorgen an den Landesgrenzen insbesondere auf der Autobahn demonstrieren, welche Auswirkungen die Ideen des Herrn Wauquiez, aber auch der rechtsextremistischen Giftschleuder Marine Le Pen, haben, wenn die Grenzkontrollen wieder eingeführt werden.)

Frankreichs Konservative versuchen wohl mit aller Gewalt, am rechten Rand nicht zu viele ihrer Wähler an die rechtsextremistische „Front national“ zu verlieren. Es ist jedoch unabhängig davon eine eindeutige Tendenz zu erkennen, die sich mit den Krisenjahren verstärkt hat und in Richtung einer Renationalisierung der Europapolitik geht.