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Alles toll

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Nach zehn Tagen Fußball-Weltmeisterschaft ist es Zeit für eine erste Zwischenbilanz.

• Toller Sport wurde trotz schwieriger klimatischer Bedingungen bis jetzt geboten. Die wenigen Ausnahmen bestätigen dabei die Regel. Während also die Grottenkicks an einer Hand abzuzählen sind, gab es Dutzende Begegnungen mit begeisterndem Offensivfußball. Der Fußball scheint eine andere Dimension erreicht zu haben, die Spielfreude hat die Oberhand über alle taktischen Zwänge gewonnen, wie es scheint.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Dazu ist die WM in Brasilien reich an Überraschungen. Wer hätte im Vorfeld auch nur einen Pfifferling auf Costa Rica gewettet? Dagegen enttäuschten etablierte Fußball-Nationen wie Spanien, England oder Portugal auf der ganzen Linie. Noch nie konnte eine europäische Mannschaft bei einer WM in (Süd-)Amerika den Titel gewinnen. Gut möglich, dass diese Serie Bestand haben wird. Wobei es aber auch europäische Lichtblicke gibt. Belgien steht bei seiner Rückkehr auf die große Fußballbühne mit seiner jungen Mannschaft bereits im Achtelfinale, wenn auch mit viel Glück. Und Frankreich präsentiert sich nach dem unwürdigen Theater vor vier Jahren als Mannschaft mit erfrischendem Elan. Was einmal mehr den Beweis erbringt, dass es bei einem großen Turnier nicht darum geht, die besten Spieler zu nominieren, sondern das beste Aufgebot zusammenzustellen.

Kritik und Proteste

• Der tolle Sport findet in tollen Stadien statt. Die Brasilianer haben ganze Arbeit geleistet. Schön anzusehen ist das alles zweifellos, doch wurde wie so oft bei sportlichen Großveranstaltungen wie Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen weit über das Ziel hinausgeschossen. Genau wie vor vier Jahren in Südafrika, wie Brasilien ein Schwellenland, hinterlässt auch diese WM „weiße Elefanten“, also für dreistellige Millionensummen errichtete Prunkbauten, die nach dem Turnier keine Verwendung mehr finden und deren Unterhalt Unsummen verschlingt. Dass die Brasilianer das bei aller Fußball-Euphorie für Geldverschwendung halten, ist wenig verwunderlich. Zumal das Land andere Probleme hat und allein auf den Kosten sitzen bleibt, während der Fußball-Weltverband FIFA die Milliardengewinne steuerfrei einsäckelt.

• Tolle Bilder: Schön sind sie, die Bilder aus den Stadien. Farbenfrohe fröhliche Menschen feiern zusammen ein großes Fest. Die Heiterkeit wirkt teilweise schon fast unecht, zumal alles rund um das Spiel bis ins kleinste Detail ins Szene gesetzt ist. Alles ist von der FIFA genormt, eine große Choreografie mit genauen Zeitangaben. Für Spontanität ist kaum noch Platz. Umso schöner ist es da, wenn Spieler und Publikum nach der brasilianischen Nationalhymne aus Solidarität mit der Protestbewegung im Land einfach weitersingen. Oder aber, wenn die Technik den Organisatoren einen Streich spielt wie beim Auftaktspiel der Franzosen, als es vor der Partie keine Nationalhymnen gab. Aber anstelle das Spiel ob des Zeitgewinns etwas früher anzupfeifen, mussten die Spieler minutenlang tatenlos verharren, nur damit das minutiös getimte Protokoll eingehalten werden konnte.

Und so erreicht die Inszenierung von Fußball als weltumspannendes Happening eine neue Dimension. Wobei das TV-Publikum in erster Linie die Bilder zu sehen bekommt, die es sehen soll. Das war bei anderen Weltmeisterschaften allerdings auch nicht anders. Das 1998 mit Spannung erwartete Duell zwischen den Erzfeinden Iran und USA wurde vor dem Anpfiff im Stadion von Lyon von Exil-Iranern zu einer riesigen Demonstration gegen das Regime in Teheran genutzt, zu sehen gab es davon im TV nichts. Nur ein Beispiel, das verdeutlichen soll, dass noch lange nicht alles Gold ist, was so schön glänzt. Das gilt für den Fußball, für die WM und für Brasilien.