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Streit

Streit
(Tageblatt-Archiv/Isabella Finzi)

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Im Sandkasten, da können die Menschen es noch. Da wird gezogen und gebissen und gekämpft. Da wird der eigene Kopf durchgesetzt. Da wird gestritten.

Doch spätestens an der Universität dann, so scheint es, haben Konsens und Anpassung das Streiten ersetzt. Ganz schön schlimm. Denn Streiten ist doch so wichtig. Das kann man überall nachlesen.

Logo" class="infobox_img" />Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

In allen Feuilletons melden sich jetzt, gen Sommerende und mit dem Schul- und Hochschulbeginn in greifbarer Nähe, Bildungsexperten zu Wort, die die Nichtexistenz einer Streitkultur in unseren Gesellschaften beklagen.
Schüler und Studenten seien viel zu brav, das Lehrmaterial zu marktkonform, Lehrende zu bequem. Die Kritik am Schul- und Unibetrieb überschlägt sich: Immer diese Orientierung am Arbeitsmarkt, immer dieser Pragmatismus und diese Bulimie-Lernerei. In sich hineinfressen. Auskotzen. Vergessen. Das muss ja schiefgehen …

Da beißt sich doch die Katze selbst in den Schwanz. Warum werden Kinder denn nicht darin unterstützt, sich zu streiten und zu wehren? Warum lernen sie das Kopfnicken, das Herunterschlucken und das Wiederkäuen, und nicht das Neinsagen, das Selbstdenken und das Widersprechen? Warum lernen sie, nachzugeben und wegzuschauen, anstatt Beharrlichkeit zu zeigen und den Finger in die Wunde zu legen? Warum bleiben sie in ihrem Ein-auf-ein-Quadratmeter-Sandkasten sitzen, anstatt zu versuchen, über den Rand zu klettern und zu erkunden, was dahinter ist?

Angst und Bequemlichkeit

Weil sie nachahmen. Und zwar uns. Die Gesellschaft. Eine kopfnickende, in einem Tunnelblick gefangene, „gefällt mir“-sagende, angepasste Gesellschaft. Warum die Gesellschaft so ist, so geworden ist, hat sicher viele Gründe. Da ist zum einen die Angst – Angst vor den Terroristen, Angst vor den Gesetzen des freien Marktes, Angst
vor der Liebe, Angst vor zu wenig Geld, Angst vor der Zukunft. Denn Angst lähmt. Angst unterdrückt die Lust an Auseinandersetzung, die Neugier und das Rechthabenwollen. Und dann ist da noch die Bequemlichkeit, diese postmoderne Lebenshaltung, die sich aus der Entfremdung von der Welt entwickelt.
Wir wünschen uns klare Ansagen statt Dialog, klare Arbeitsanweisungen statt Kreativität. Genügsamkeit statt Ehrgeiz. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Lieber ein Rädchen im System als der Motor.

Die Folgen einer solch angepassten, genügsamen und damit fügsamen Gesellschaft sind schnell zu sehen: Die Politik und ihr Einfluss auf unser Zusammenleben wird nicht mehr ernst genommen, der Einzelne zieht sich in seine vier Wände zurück, lebt, ohne zu gestalten. Und sogar die Intellektuellen sind verstummt. Kaum jemand möchte Verantwortung übernehmen und klare Positionen beziehen. Die große Welt da draußen, sie dreht sich schließlich auch ohne uns.

Einerseits diese angepasste, empathielose, träge und jegliche Auseinandersetzung vermeidende Gesellschaft. Andererseits all die Krisenherde auf der Welt. Krieg und Mord und Leid. Mehr denn je. Es scheint, als gäbe es nur diese zwei Alternativen: Entweder man prügelt und kloppt mit oder aber man schweigt und schaut weg. Und das, weil die Worte fehlen, weil wir es versäumen, dass sich Sandkastenstreits zu konstruktiver Streitkultur entwickeln. Weil wir der Sprache als Waffe zu wenig Bedeutung beimessen, weil wir nicht mehr daran glauben, durch sprachliche Auseinandersetzungen, durch das Aneinanderreiben von durchdachten Argumenten, durch kontrolliertes Reden die Welt mitgestalten zu können. Wir brauchen mehr Streit. Streit mit Worten, nicht mit Waffen.