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Erich bleibt tot

Erich bleibt tot

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Vor 25 Jahren fiel die Mauer. Der Versuch der Kommunisten, das Volk mit nackter Gewalt zu seinem Glück zwingen zu wollen, war endgültig gescheitert.

Das mit dem Glück klappte ohnehin nur auf höchst eingeschränkte Weise. In erster Linie war es der SED sowie ihren Bruderparteien in den anderen Ostblockstaaten einigermaßen gelungen, den Mangel mehr oder weniger gleichmäßig zu verteilen.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Sicher, jeder hatte Arbeit, und Hunger musste – bei allen Warteschlangen – auch niemand leiden, doch die Abschaffung der politischen und kulturellen Freiheiten sowie die unter den proletarischen Massen grassierende Überzeugung, dass am Ende das ganze System ohnehin in erster Linie nur einer Kaste von Bonzen zum Vorteil gereichen würde, trugen das Ihre dazu bei, dass das Regime von Honecker und Genossen kurz nach den Feiern zum 40. Jahrestag der DDR krachend, aber ohne Blutvergießen einstürzte.

Die Ostdeutschen hatten den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu den anderen ehemaligen Bestandteilen des Sowjetblocks die nachsowjetische Zeit nicht auf sich alleine gestellt angehen mussten. Die reichen Brüder aus dem Westen standen bereit, um gegenüber den ökonomisch geschädigten Gebieten, die bald danach zu den „neuen“ Bundesländern werden sollten, jene Solidarität walten zu lassen, ohne die die Wiedervereinigung undenkbar gewesen wäre und allenfalls mit einem Massenexodus der „Ossis“ gen Westen geendet hätte.

Dabei war die Wiedervereinigung ja nun keinesfalls eine automatische Folge des Mauerfalls, und gerade die Sowjetunion wollte verständlicherweise Garantien haben, dass dieses Projekt nicht am Ende zu ihrem alleinigen Nachteil gereicht.

Doch auch im Westen, z.B. in Frankreich, gab es führende Politiker, die sich der Illusion hingaben, dass sie im Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte einfacher gegen zwei Deutschländer bestehen könnten als gegenüber dem vereinigten „500-Pound-Gorilla“, der, wie vorauszusehen, auch innerhalb der EU im Laufe des vergangenen Vierteljahrhunderts erheblich an Einfluss dazugewonnen hat. Wobei dieses ja nun nicht unbedingt nur aus der Stärke Deutschlands, sondern mindestens ebenso sehr aus der Schwäche anderer Mitglieder des vereinten Europa resultiert.

Für die Deutschen – sowohl die aus dem Osten wie die aus dem Westen – war die Wiedervereinigung eine Tour de Force, für deren Bewältigung ihnen große Anerkennung gebührt.

Womit ja nun nicht gesagt werden soll, dass jenseits der Mosel nun alles in Butter sei. Die von Helmut Kohl in Aussicht gestellten „blühenden Landschaften“ ließen auf sich warten, mancherorts sind sie bis heute nicht wahr geworden.

Anlass zur Sorge gibt einem die Verbreitung von rechtsextremistischem Gedankengut bei etlichen Jugendlichen in der ehemaligen DDR. Und die De-facto-Existenz von „national befreiten Gebieten“ in mehreren Städten weckt in allen Nachbarländern Deutschlands höchst ungute Gefühle.

Dass aber nun in Thüringen erstmals ein Politiker der „Linken“, der Nachfolgepartei der SED unselig, Ministerpräsident werden soll, darf man wohl nicht als Ausdruck einer aus dem Ruder gelaufenen SED-Nostalgie interpretieren. Es bedeutet eher, dass die Linke endgültig zum „normalen“ Politikbetrieb gehört. Erich bleibt tot.