Headlines

Die falsche Zahl

Die falsche Zahl

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Sobald über ein Land, seine Wirtschaft und seine Zukunftsperspektiven geredet wird, steht das BIP (Bruttoinlandsprodukt) im Zentrum der Diskussion. Steigt das BIP, dann hat die Politik gute Arbeit geleistet – fällt es, dann war die geleistete Arbeit nicht gut.

Christian Muller
cmuller@tageblatt.lu

Doch ist das BIP wirklich die Zahl, mit welcher der Erfolg einer Regierung gemessen werden soll? Immerhin beinhaltet es eine Menge Tücken. So steigt das BIP beispielsweise an, wenn die reichsten Menschen in einem Land noch reicher werden. Wie das Vermögen im Lande verteilt ist, spielt für das BIP keine Rolle. Ein anderes Beispiel: In Japan führte das Reaktorunglück in Fukushima (wegen der Reparaturarbeiten) zu einem Anstieg des BIP. Ob das aber die Lebensqualität verbessert hat? Von Interesse war gestern – in diesem Zusammenhang – die Feststellung der Handelskammer, dass das BIP in Luxemburg zwischen 2011 und 2013 zwar wuchs, das BIP pro Kopf und das RNB pro Einwohner jedoch geschrumpft sind (wegen des Bevölkerungswachstums). Die Menschen sind also nicht wohlhabender geworden, obwohl die Wirtschaft gewachsen ist.

Wie glücklich sich die meisten Menschen in einem Land schätzen, wie es um ihre Freizeit und um ihren Job steht, wird vom BIP nicht mit in Betracht gezogen. Auch andere Faktoren der Lebensqualität, wie Gesundheit, Umwelt und Bildung, werden vom BIP ignoriert. Dafür wurde das BIP aber auch nicht erschaffen: Es geht allein darum, die Produktion zu messen.

Als mögliche Alternative versuchen viele Statistiker, sogenannte Wohlstandsindikatoren zu erstellen. Die wiederum haben den Nachteil, dass es sich um subjektive Gefühle – und nicht um nackte Tatsachen – handelt. Von Jahr zu Jahr können so starke Schwankungen verbucht werden.

In ihren Sonntagsreden verweisen viele Politiker seit Jahren auf die Unzulänglichkeiten des BIP. Eine wahre Alternative zum BIP ist bisher aber noch nicht aufgetaucht. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die neuen Wohlstandsindikatoren, wie etwa der „Better Life Index“ der OECD, in viele Unterbereiche (Ausbildung, Umwelt, Gesundheit …) aufgeteilt werden müssen. Mit den Resultaten aus den unterschiedlichen Bereichen wird dann ein Durchschnitt errechnet. In etwa so wie bei den heutigen Wettbewerbsindikatoren. Im Endeffekt landet man bei den Wohlstandsindikatoren also wieder bei einer unperfekten Zahl. Alles ist eine Frage der Definitionen und der gestellten Fragen. Es handelt sich also um eine Zahl, die die Fragesteller manipulieren können.

Sicher ist, dass das BIP alleine nicht ausreichend ist und zu Fehlinterpretationen führen kann. Schließlich muss der Beobachter aber feststellen, dass auch bei den Wohlstandsindikatoren praktisch immer die Länder mit dem höchsten BIP an der Spitze liegen. Vielleicht macht Geld nicht glücklich – aber ohne erfolgreiche Unternehmen, die Steuern bezahlen, kann ein Land kein gutes Sozialsystem und keine gute Krankenkasse auf die Beine stellen. Die Zukunft wird also komplizierter werden. Interessierte Bürger müssen sich damit abfinden, mehrere Indikatoren unter die Lupe zu nehmen. Eine Zahl alleine kann nicht alles erklären.

Christian Muller