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Warum schweigen?

Warum schweigen?
(Tageblatt)

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Da wurde in Ettelbrück, mitten auf einem öffentlichen Platz, ein Mann durch Messerstiche ermordet. Ein wahlloses Opfer, wie sich später herausstellen sollte, wurde zur Zielscheibe eines psychisch kranken jungen Mannes.

Wir schrieben dies bereits in unserer ersten Berichterstattung über dieses Tötungsdelikt am 4. März, und gleich waren Stimmen zu hören, die uns an den Pranger stellten, weil wir uns erdreistet hatten, den jungen, mutmaßlichen Täter als einen Menschen mit psychischen Problemen hinzustellen.

Roger Infalt rinfalt@tageblatt.lu

Und die, die uns vorwarfen, dass das Tageblatt einige Stunden nach dem Mord «fleißig Öl ins Feuer gießt», «unbestätigte Gerüchte nährt» und «durch seine Spekulationen ein Klima der Angst schürt», schreiben dann noch, dass der Ettelbrücker CSV-Bürgermeister unsere «Spekulationen» dementieren würde.

Was sollte dieses Spiel, wenn man dies denn so nennen darf? Warum tut man so, als hätte man was überaus Schlimmes gesagt, wenn man von einem Menschen mit psychischen Problemen spricht? Warum wird dieses Thema von verschiedenen Seiten, auch politischen, noch immer als Tabuthema abgetan? Natürlich ist es dramatisch, was am Abend des 2. März in Ettelbrück passiert ist, natürlich weinen und trauern wir mit der Familie des unschuldigen Opfers, natürlich hat der Täter Verantwortung zu übernehmen, aber die Frage stellt sich, ob er die Schuld allein zu tragen hat oder ob auf die Anklagebank später vor Gericht auch ein System gehört, das in diesem Fall komplett versagt hat. Der junge Mann hatte, ob das der CSV und ihrer Zeitung gefällt oder nicht, schwere psychische Probleme. Erst im Frühjahr letzten Jahres war er wegen schweren Raubes in Deutschland zu drei Jahren Haft verurteilt worden, die er aufgrund seines gesundheitlichen Zustands in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung absitzen musste. Die behandelnden Ärzte stellten schwere Paranoia (Verfolgungswahn) gepaart mit Schizophrenie (psychische Erkrankung mit Realitätsverlust) und Polytoxikomanie (gleichzeitiger Konsum von verschiedenen Drogen) fest. In einem Bericht wird festgestellt, dass der Mann in dem Zustand eine «Gefahr für sich selbst und für sein Umfeld» darstelle.

Doch bereits im Herbst vergangenen Jahres wurde ein Antrag gestellt, dass der junge Mann nach Luxemburg überführt werden soll. Er verließ die psychiatrische Klinik in Homburg und fuhr mit dem Zug (!) nach Luxemburg. Einfach so! Hier kam es sporadisch zu freien Besuchen bei Ärzten, doch der Mann war größtenteils auf sich selbst gestellt. Wenn man das alles weiß, muss es doch erlaubt sein, sich Fragen zu diesem System zu stellen. Oder?

Wir wollen zudem die 2009 vorgestellte, vom Gesundheitsminister in Auftrag gegebene Studie von Wulf Rössler, Professor an der Universität Zürich, über die Psychiatrie in Luxemburg in Erinnerung rufen. Zum Thema Begleitung von psychisch kranken Jugendlichen sagte Rössler damals: «Das größte Problem in diesem Bereich ist nicht etwa die doch kleine Zahl an vorhandenen Betten, sondern der flagrante Mangel an Koordination und Kommunikation.»

Seit dem 2. März kennen wir ein weiteres Beispiel, das diese Feststellung Rösslers untermauert.