Natürlich muss man ihm recht geben. Bleiben wir auf der Biennale, einem der, wenn nicht sogar dem populärsten Kunstereignis des Jahres. Massen strömen durch die Lagunenstadt und konsumieren Kunst. Und Schampus und Schnittchen und Smalltalk gleich mit. Und Schuhe – schließlich ist man in Italien.
" class="infobox_img" />Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu
Er wird genetworkt, gemenschelt und gefeiert. Maggy Nagel tanzt mit Jo Kox und die Barkeeper, Diskothekenbetreiber und Restaurantbesitzer freuen sich über die goldenen Kreditkarten aus Luxemburg. Willkommen im Kapitalismus, im Kunstkonsum, im Hier und Jetzt. Kunst ist Teil der Popkultur und die Popkultur Teil des Systems.
So ist das. Ja. Aber nicht nur.
Es ist spannend, zu wissen, dass es bis vor wenigen Jahrzehnten noch gerade die Popkultur war, die sich dem vorherrschenden System entgegenstellte und Alternativen zum Bestehenden aufzeigte. Sie riss Hör- und Sehgewohnheiten ein und brach moralische und sexuelle Tabus. Sie war wild und gefährlich, schockierte Eltern und definierte Freundschaften. Ein Lied der Beatles konnte Familien spalten. Popkultur stellte sich gegen die Gesellschaft, gegen den Staat, gegen die «Spießer».
Dass Popkultur heute als gesellschaftskonform, und massentauglich angesehen wird, hat vor allem mit den ungeheuren technischen Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts zu tun. Jeder hat Zugriff zu ihr, die Demokratisierungsprozesse in unseren Informationsgesellschaften zeigen hier ihre Früchte: Populäre Kultur ist zu einem prägenden Bestandteil des Lebens in der westlichen Welt geworden. Und das macht sie sicherlich auch zur «propagande douce du capitalisme».
Dennoch wäre es nun ein großer Fehler, ja ein Rückschritt in das vorletzte Jahrhundert, diesem Begriff der Popkultur einen elitären Kunst- und Kulturbegriff, etwa den der Hochkultur, entgegenstellen zu wollen. Diese Unterscheidung ist unnütz.
Es gibt Kunst. Und es gibt Trends und Modeerscheinungen. Hierin liegt die Unterscheidung. Die Antwort, ob ein Werk nun dem einen oder dem anderen zuzuordnen ist, wird die Kunst selbst liefern. Denn sie wird Trends und Modeerscheinungen überdauern, jeglichen Instrumentalisierungsversuchen trotzen und – und das ist das wichtigste – Menschen immer wieder aufs Neue berühren und verändern.
Kunst kann noch so aufdringlich als eine Ware unter vielen auf unserem grenzenlosen Marktplatz angepriesen werden und noch so sehr zu Propagandazwecken missbraucht werden, von ihrem Wesen her bleibt sie frei. Sie dient nichts und niemandem, am wenigsten der Gesellschaft, die sie fördert. Denn irgendwann, wenn sich niemand mehr an den Tanz von Maggy Nagel und Jo Kox erinnert, wenn auch die 56. Biennale von Venedig als eine unter vielen in die Annalen eingegangen ist, dann wird sich die Kunst aus dem Künstlichen herausgeschält haben. Denn Kunst, und das schrieb schon Alfred Döblin, ist und bleibt eine seltene Sache.
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