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Auf Sicht fahren

Auf Sicht fahren
(Alain Rischard/editpress)

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Was haben der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), Griechenlands Außenminister und der Frontex-Chef gemeinsam? Sie wiesen jüngst darauf hin, dass sich die internationale Gemeinschaft planlos von einer Krise zur nächsten hangelt.

«In den vergangenen acht Jahren musste ich über zu viele Themen nachdenken und hatte zu wenig Zeit, um mir tiefere Gedanken zu machen», wurde Noch-IWF-Chefökonom Olivier Blanchard vor kurzem zitiert. Seine Offenheit ist lobenswert, allerdings ist der Kern seiner Aussage der klare Beweis dafür, dass der vom Währungsfonds geforderte Austeritätskurs nicht das Resultat einer weitsichtigen Wirtschaftspolitik ist. Im Gegenteil: Es wird an der Spitze internationaler Institutionen wie des IWF und in den politischen Hauptstädten oft geschustert und improvisiert.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Dass Athen unter den drakonischen Reformauflagen des IWF zu leiden hat, ist kein Geheimnis. Unter Blanchard hatte der Währungsfonds 2013 immerhin noch die Größe, die Fehler dieser kurzsichtigen Griechenland-Politik einzuräumen. Allerdings scheint die Selbstkritik nur an wenig konkrete Kursänderungen gekoppelt gewesen zu sein.

Während man aber bei der IWF-Politik ein kurzfristiges Konzept zu erkennen vermag, treibt einen der Blick auf die aktuelle Flüchtlingsdiskussion fast zur Weißglut. Es wird rein korrektiv auf das Leid der Menschen reagiert, nationalstaatlich gedacht und mit den brachialsten Methoden versucht, ein Problem zu lösen, dessen Kern politischer, wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Natur ist. Vereinfacht formuliert: Wer glaubt, die Flüchtlingsproblematik lösen zu können, indem man «Schiffe versenken» spielt, hat entweder kein Interesse daran, Flüchtlingen zu helfen, oder er fährt auf Sicht – weil es einfacher ist und von den eigentlichen politischen Problemen ablenkt.

Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias verdeutlichte dies in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Wer glaube, dass die Situation in Libyen schlimm sei, solle sich die Frage stellen, was passiere, wenn irgendwann ein Land wie Ägypten destabilisiert werde und die Menschen sich zur Flucht entschließen würden: «Dann sieht Libyen im Vergleich zu dem, was in Ägypten passieren würde, wie ein Spiel aus.» In der Tat: Ein Land, in dem mehr als die Hälfte seiner knapp 100 Millionen Einwohner unter 25 ist und sich weder mit dem Staat noch mit Gruppierungen wie den Muslimbrüdern identifizieren kann, ist trotz seines historisch starken Militärs alles andere als stabil.

Solche Weitsicht kann man leider nur von wenigen europäischen Politikern erwarten. Sie wäre aber angebracht. Während die EU-Innen- und Außenminister gestern ein Konzept für den Kampf gegen Schleuserkriminalität in Libyen beschlossen, warnte Frontex-Chef Fabrice Leggeri unlängst, dass bereits eine Verlagerung der Flüchtlingsrouten vom zentralen ins östliche Mittelmeer stattgefunden habe. Die europäische Grenzschutzbehörde verstärke deshalb ihre Präsenz in Griechenland. Leggeris Analyse verdeutlicht es: Wer nicht mit einem ganzheitlichen Konzept samt Verteilungsquote und einem Programm zur Verbesserung der Lage in den Heimatländern arbeitet, kann Flüchtlingen sowie Aufnahmestaaten nicht langfristig helfen – und nur reagieren.

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