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Kiew ist nicht Athen

Kiew ist nicht Athen
(Alain Rischard/editpress)

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Aus den Augen, aus dem Sinn? Die Blicke waren die letzten Wochen auf einen Brennpunkt gerichtet: Griechenland und den Kampf dieses kleinen EU-Landes gegen eine übermächtige Koalition von EU-Staaten, die den aufmüpfigen „Partner“ wieder in Reih und Glied zurückdrängen wollen. Aus dem medialen Interesse verschwand zwischenzeitlich ein weitaus dramatischerer Konflikt: der Krieg in der Ostukraine.

Lucien Montebrusco lmontebrusco@tageblatt.lu

Dort wird geschossen und getötet, als ob es das Minsk-II-Abkommen niemals gegeben hätte. Beide Seiten haben schwere Militärtechnik zurück in die Kampfzone um Donezk geführt, vor den Augen der internationalen Beobachter der OSZE, die sich quasi damit zufriedengeben müssen, bloß Schüsse und Detonationen zu zählen. Von Frieden in der Ukraine demnach keine Spur. Im Gegenteil. Schon wird in anderen Landesteilen gezündelt. In der Stadt Mukatschewe in der Westukraine lieferten sich vor einer Woche Angehörige des Rechten Sektors Kämpfe mit den Ordnungskräften. Auslöser waren Streitigkeiten über Schmuggelware. Am Dienstag dieser Woche wurden zwei Menschen bei der Explosion von Handgranaten am Eingang einer Polizeistation in Lwiw verletzt. Hinter dem Anschlag soll der Rechte Sektor stecken. In der Westukraine solle ein zusätzlicher Unruheherd entstehen, so Politologen. Die Rede ist sogar von der Schaffung einer Transkarpatenrepublik. Und weil es so einfach zu erklären ist, wird erneut die Hand der Moskauer Intriganten dahinter vermutet.

Wie auch immer: Fakt ist, dass der Rechte Sektor um Bandenführer Dmitri Jarosch unverhohlen der Öffentlichkeit zeigt, was er eigentlich ist: ein Haufen von Banditen. Parallelen zur Nazi-Schlägertruppe SA sind erlaubt. Nichts da mit politischen Überzeugungen, die, nun ja, etwas rechts angesiedelt seien, aber keinesfalls als faschistisch einzustufen wären und daher nicht gefährlich seien, versuchte man ihre Rolle beim Umsturz in Kiew vor anderthalb Jahren zu erklären.

Kiew und die Schutzherren der ukrainischen Regierung werden die Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Mit ihrer Hilfe gelang der Umsturz in Kiew. Sie waren sozusagen der bewaffnete Arm der damaligen Opposition. Den Lohn erhielten sie in Form von Posten und Pöstchen und einer quasi absoluten Straffreiheit, trotz brutalster Verbrechen. Noch ist zum Beispiel nicht definitiv geklärt, wer denn nun tatsächlich für die Dutzenden Opfer auf dem Maidan verantwortlich zeichnet, wessen Scharfschützen damals auf friedliche Demonstranten schossen. Oder wer das Gewerkschaftsgebäude in Odessa in Brand steckte und dabei Dutzende Menschenleben auf dem Gewissen hat.

Der Rechte Sektor ist außer Kontrolle, wenn er sich denn jemals einer Kontrolle unterworfen hat.

Ein rein ukrainisches Problem? Zu einfach. Die EU-Führung ist mitverantwortlich dafür, dass Neonazis in der Ukraine ihr Unwesen treiben können. Die Warnungen aus Moskau vor einem aufkeimenden Faschismus in der Ukraine schlug man in den Wind. Alles Kreml-Propaganda.

An diese Vereinfachung der Sachlage hält man sich im Westen scheinbar bis heute. Keine öffentlich vorgetragenen Aufrufe an Kiew, entschlossen gegen den Rechtsextremismus vorzugehen, bewaffneten Banden das Handwerk zu legen. Das kleine griechische Volk und seine linke Regierung an die Wand drücken, ist da einfacher.