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Überreaktion

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(Alain Rischard/editpress)

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Dem Duden zufolge bedeutet betteln „um Almosen bitten“, auf der Straße oder an den Türen. Bettler sind demnach recht harmlose Gesellen.

Trifft man sie auf der Straße, erwecken sie in der Regel Mitleid, wenn noch ein Funken Empathie beim Passanten übrig ist. Nicht selten wühlt man in der Tasche nach etwas Kleingeld, um die Not dieses Menschen etwas zu lindern, und vielleicht auch das beschämende Gefühl loszuwerden, das sich angesichts des Leids dieses Mitmenschen und der eigenen komfortablen Situation unbewusst einschleicht.

Das im Marienland Luxemburg nicht unbekannte Neue Testament weiß von Bettlern zu schreiben, denen göttliches Erbarmen widerfuhr. Dem blinden Bettler Bartimäus soll Jesus das Augenlicht wiedergeben haben, als dieser ihm auf dem Weg nach Jerusalem begegnete. Von dieser besonderen Form der christlichen Nächstenliebe, die sich u.a. im Almosenspenden niederschlägt, sind im Luxemburg Anfang des 21. Jahrhunderts nur noch Spuren zu erkennen.

Erschreckend sind die Kommentare, die in den sozialen Netzwerken oder zu Beiträgen zum Thema auf Newsseiten wie tageblatt.lu gepostet werden. Als ob das Land quasi ausschließlich von Menschenhassern bevölkert wäre. Einzelne Medien schalten derlei Ergüsse frei, tolerieren sie im Namen einer falsch verstandenen Meinungsfreiheit, derzufolge es auch erlaubt sein müsse, pauschal über Menschengruppen herzufallen, ohne genauer hinzuschauen.

Wer es wagt, in dieser aufgeheizten Atmosphäre Mäßigung in der Ausdrucksweise und gesundes Urteilsvermögen zu fordern, wird als Naivling beschimpft, als Gutmensch, der den Bezug zur Realität verloren habe. Und wem das noch zu schwach ist, der bemüht das Totschlagargument, man solle doch bitteschön selbst Bettler bei sich aufnehmen und sie durchfüttern.

Hasstiraden gehören zum Internet-Alltag, darüber kann man getrost hinwegsehen, wäre da nicht das Amalgam, das derzeit in vielen Köpfen entsteht, und das mit tatkräftiger Unterstützung einzelner Medien. Pauschal wird da von „Heescherten“ gesprochen. Da werden stadtbekannte Bettler und Junkies, die einige Münzen für ihr Laster erbetteln, in einen Topf geworfen mit aggressiv operierenden Almosenprofis, die Passanten Übles nachschreien, wenn das Portemonnaie geschlossen bleibt.
Doch auch das ist Meinungsfreiheit. Genauso wie jedem Menschen freigestellt ist, wenn er denn die Wahl hat, im öffentlichen Raum um milde Gaben zu bitten. Auch dieses Recht muss verteidigt werden, und zwar von jedem von uns.

Und die Politik, auf die alle blicken, wenn scheinbar nichts mehr geht, obwohl Politikerbashing zur Lieblingsbeschäftigung derselben aufgeregten Internet-Bürger gehört? Ja, auch sie und die Behörden müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Gesetzesverstöße, zu denen bandenmäßig betriebene Bettelei samt Menschenausbeutung zählt, müssen geahndet werden. Zumal der Staat bereits heute über die gesetzlichen Instrumente verfügt, um sich und die Bevölkerung vor derlei Gaunern zu schützen, wie Me Gaston Vogel wortgewaltig darlegt.

Wer vor diesem Hintergrund jedoch nach schärferen Gesetzen schreit, fordert lediglich weitere Verbote, die den Handlungsspielraum in der Gesellschaft weiter einengen. Und das im Namen der Sicherheit der Bürger.
Apropos Sicherheit: Einer rezenten britischen Studie zufolge platziert sich Luxemburg in der Rangliste der lebenswertesten Städte auf Platz 25, vor London und Paris. Eines der Kriterien bei der Prüfung von 140 Städten war die Kriminalitätsrate.

(lmontebrusco@tageblatt.lu)