Der zweite G20-Gipfel im Schatten des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist am Sonntag zu Ende gegangen. Was hat er gebracht? Gastgeber Indien konnte ein Scheitern des Treffens der führenden Industrie- und Schwellenländer verhindern. Und gleichzeitig, vor allem mit der Aufnahme der Afrikanischen Union (AU) in den Kreis, auch einen symbolischen Schritt im Hinblick auf das Gewicht von Entwicklungs- und Schwellenländern in der Welt markieren. Das ist unbestritten ein Erfolg des multilateralen Treffens.
Doch bei der Verurteilung des Ukraine-Kriegs gab es, anders als auf der indonesischen Insel Bali im vergangenen Jahr, nur einen Formelkompromiss. Anders als beim Gipfel im Vorjahr wird der russische Angriffskrieg nicht mehr ausdrücklich verurteilt. Stattdessen wird nur noch auf entsprechende Resolutionen der Vereinten Nationen verwiesen – und allgemein auf die territoriale Integrität von Staaten, also die Unverletzlichkeit von Grenzen. Der Kompromiss, dem sowohl der Westen als auch Russland und sein Partner China zustimmten, verhinderte ein Scheitern des Gipfels. Es ist ein Minimalkonsens.
Russlands Präsident Wladimir Putin war nicht nach Indien gereist. Doch sein Außenminister Sergej Lawrow konnte doch einen Erfolg mit nach Hause nehmen: Russland ist nicht mehr so isoliert wie vor einem Jahr. Der Rückhalt aus China schwebt über den Beschlüssen.
Denn ebenfalls im Sinne Russlands gibt es den G20-Aufruf, die „unverzügliche und ungehinderte Lieferung von Getreide, Lebensmitteln und Düngemitteln/Zusätzen von der Russischen Föderation und der Ukraine“ zu gewährleisten. Moskau fordert für seinen Export von Agrarprodukten eine Lockerung der westlichen Sanktionen gegen Russland. In dem Fall könnte auch das im Juli von Putin aufgekündigte Abkommen zur Verschiffung von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer erneuert werden.
Der Westen konnte auch einen Triumph verbuchen
Ein Triumph wiederum von EU, den USA und einigen anderen Partnern ist das vereinbarte Infrastrukturvorhaben als Antwort auf China: Ein riesiges Schienen- und Schifffahrtsprojekt soll Europa, den Nahen Osten und Indien besser miteinander verbinden. Es ist eine klare eine Antwort auf Chinas „Neue Seidenstraße“ und damit eine Kampfansage an die wirtschaftliche Vormachtstellung Pekings.
Die internationale Vormachtstellung des Westens ist nicht automatisch mehr gegeben. Vielmehr sind es mittlerweile Staaten wie Gastgeber Indien, Indonesien oder Brasilien, die international nach vorne drängen. Warum? Sie haben eine Vermittlerrolle, sowohl zwischen dem Westen und Russland als auch in Teilen zwischen China und den USA. Hier spielt besonders die Afrikanische Union eine Rolle. Die Weltordnung ist in Bewegung gekommen, das hat das G20-Treffen in Indien noch einmal eindrucksvoll gezeigt. Es wird an der Einigkeit und der Strategie der USA und der EU liegen, künftig gemeinsam verlässlich um Partner in der Welt zu werben. Die Welt hat sich durch den Ukrainekrieg in einer Weise verändert, die sehr lange nachhallen wird.
Freude in Moskau, Ärger in Kiew
Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der Putin in Neu Delhi vertrat, war sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Der Westen verliere heute seine „Vormachtstellung“ in der Welt und eine multipolare Weltordnung gewinne an Gewicht, sagte er. „Der Westen kann kein Hegemon bleiben, wenn man in Betracht zieht, dass objektiv neue globale Zentren entstehen und an Stärke gewinnen.“ Es sei dank der Geschlossenheit des „globalen Südens“ gelungen, eine „Ukrainisierung“ des Gipfels zu verhindern.
In der Ukraine war der Ärger über die Gipfelerklärung groß. Auf Bali hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj noch per Video zum Gipfel gesprochen, das blieb ihm dieses Mal verwehrt. Mychajlo Podoljak, Berater im Präsidentenbüro, warf Lawrow vor, beim Gipfel Kriegspropaganda verbreitet zu haben. Es brauche mehr internationale Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen wie gegen Putin, um Auftritte von „Subjekten wie Lawrow“ zu verhindern.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte angesprochen auf die ukrainische Kritik, man dürfe nicht den Rest der Agenda blockieren. Die G20 sei vor allem dazu da, über Wirtschafts-, Finanz- und Klimafragen zu sprechen.
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