Es sind bisher nur dunkle Stoppel, aber die Haare wachsen schon wieder. In weißer Leinenhose steht Sebastien Haller da, gut sieht er aus im blauen Hemd, er legt seinen linken Arm um Gianni Infantino und lacht herzlich. Die Uhr im Hintergrund leuchtet: 22.59, kurz nach dem zweiten WM-Halbfinale in Katar. Beim Blitzbesuch auf FIFA-Einladung hat der Stürmer von Borussia Dortmund fünf Monate nach seiner Schock-Diagnose Hodentumor sichtlich Freude.
Es wirkt, als kämpfe er sich in ein zweites Leben.
Am 18. Juli war es, im Dortmunder Schweiz-Trainingslager in Bad Ragaz, der gezackte Gipfel des Pizol krönt das Alpenpanorama. BVB-Trainer Edin Terzic hat nach dem Testspiel gegen den FC Valencia zwar ein wenig herumgedruckst, Haller hatte gefehlt. Aber niemand denkt sich groß etwas dabei. Wird halt so eine Muskelsache sein. Doch um 23.00 Uhr sieht man Journalisten aus dem Restaurant durch den kleinen Ort zu ihren Hotels rennen.
„Sebastien Haller hat das BVB-Trainingslager in Bad Ragaz krankheitsbedingt verlassen müssen und ist bereits zurück nach Dortmund gereist“, hat der Verein zu später Stunde getwittert. „Bei Untersuchungen wurde ein Hodentumor entdeckt.“ BVB-Boss Hans-Joachim Watzke sagt dem SID noch in der Nacht: „Wir sind natürlich alle im Schockzustand.“
Das gilt insbesondere für Haller und seine Familie. Als Star-Einkauf ist er aus Amsterdam nach Dortmund gekommen, als Nachfolger des norwegischen Torefressers Erling Haaland. Doch plötzlich geht es um weit, weit mehr: für ihn, für seine Ehefrau Priscilla, die Kinder Chiara und Eden, die so gerne in Papas Trikot mit der Nummer neun am Frühstückstisch sitzen.
Trainingseinstieg im Januar möglich
Sebastien Haller kämpft. Von der ersten Minute an. „Ich bedanke mich aus tiefstem Herzen für die vielen und warmherzigen Nachrichten, die ich bekommen habe“, schreibt der Nationalspieler der Elfenbeinküste am Tag danach bei Instagram. „Ich war sehr bewegt, diese schönen Reaktionen zu sehen, und habe sogar das Gefühl, so viel Anteilnahme gar nicht verdient zu haben. Wir werden uns sehr schnell auf dem Platz wiedersehen und unsere nächsten Siege feiern.“
So weit ist es noch nicht. In einem ersten Schritt ist der befallene Hoden entnommen worden, Ende November folgte eine zweite Operation, um den Tumor vollständig zu entfernen – inklusive anschließendem Selfie mit dem OP-Team. „Die nächste Etappe ist abgeschlossen“, schreibt Haller und setzt frohen Mutes ein Bizeps-Emoji dahinter, alles sei gut verlaufen, „ein großes Dankeschön an das medizinische Personal“. Nun hoffe er, die Vorbereitung auf sein Comeback fortsetzen zu können.
Schon im Januar, so berichtet die WAZ, könnte Haller wieder ins Training einsteigen. Beim BVB sei man optimistisch, dass der 28-Jährige noch in dieser Saison spielt.
Behutsam soll Haller zu seinem Comeback geführt werden. Im Wissen, dass der Schritt zurück in ein neues Leben nicht zwangsläufig der Schritt zurück zu alter Stärke ist.
Sebastien Haller kämpft. Für ein zweites Leben. Und für den zweiten Teil seiner Karriere. (SID)
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