Diese Frage sei zumindest erlaubt, sieht man Teile der Abschlusserklärung dieses Gipfels. Um das Treffen in Bali etwas einzuordnen: Hier traf sich die Gruppe der 20 stärksten Industrie- und Schwellenländer (Europäische Union, Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei, USA). Diese Länder stehen für knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung, drei Viertel des Welthandels und vier Fünftel der weltweiten Wirtschaftskraft.
Vor Wochen befürchtete man, dass dieses Treffen die Spaltung der Weltgemeinschaft offen darlegen würde. Der Gastgeber Indonesien hat mit kluger Diplomatie erreicht, dass es anders geht.
Dass der Ukraine-Krieg im Vordergrund stehen würde, war kaum überraschend. Überraschend aber war die in der Abschlusserklärung, trotz einiger Meinungsunterschiede, formulierte scharfe Verurteilung des völkerrechtswidrigen Krieges Russlands gegen die Ukraine. Dass Russland eine abweichende Haltung hatte, wurde in die Abschlusserklärung mit aufgenommen. Die Erklärung der G-20-Staaten verweist aber ganz klar auf eine Resolution der Vereinten Nationen. Damit fordern sie Russland auf, die Kriegshandlungen einzustellen und seine Truppen aus der Ukraine sofort abzuziehen. Besonders die Haltung Chinas und Indiens lässt hier aufhorchen.
Deutlich wurde die Abschlusserklärung aber auch in folgendem Passus: „Es ist von wesentlicher Bedeutung, das Völkerrecht und das multilaterale System zur Sicherung von Frieden und Stabilität zu wahren. Dazu gehört die Verteidigung aller Ziele und Grundsätze, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts.“ Ein klares Bekenntnis zum Multilateralismus, ein wichtiges Bekenntnis zu den Vereinten Nationen.
Abzuwarten, wie sich diese Erklärung, trotz des rezenten Raketeneinschlags in Polen nahe der ukrainischen Grenze, auf mögliche diplomatische Verhandlungen zwecks Beendigung des Krieges in der Ukraine auswirken wird. Fakt ist, seit dem Treffen auf Bali ist Russland zunehmend diplomatisch isoliert. Fakt bleibt aber auch, dass der Machtapparat in Moskau unberechenbar ist. Fragt sich seit Bali wie lange noch.
Auch das Thema Atomwaffen spielte eine dominante Rolle. Durch Russlands Eskalation in Bezug auf die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen bleibt dies ein erheblicher Grund zur Besorgnis. Durch weltweite Modernisierung dieser Waffen, die rezenten massiven Raketentests in Nordkorea, die Unwägbarkeiten des Atomprogramms im Iran, die immer wieder stattfindenden „Abschreckungs-Manöver“ der Atomstreitkräfte sowohl innerhalb der NATO als auch in Russland wird die atomare Rüstungsspirale weiter angeheizt. Diese Rhetorik des Drohens und der Aufrüstung darf niemals Normalität werden.
Nicht von ungefähr also, dass sich die G20-Gruppe dieser Bedrohung bewusst war und so auch Position zum Thema Atomwaffen genommen hat. Es ist positiv zu bewerten, dass die G20 anerkennt, dass „der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen unzulässig ist“. Dies ist zwar ein diplomatischer Erfolg, genügt aber längst nicht mehr. Wir brauchen echte Abrüstungsmaßnahmen für eine atomwaffenfreie Welt. Diese können nur seitens der Nuklearwaffenstaaten eingeleitet werden. Allen voran Russland und die USA, welche mehr als 90 Prozent aller dieser abscheulichen Waffen besitzen.
Dass dies dringender erforderlich ist als allgemein vielleicht angenommen, beweist folgende ganz rezente Aussage von Admiral Charles A. Richard, Kommandeur von Stratcom (United States Strategic Command), der sämtlichen Atomstreitkräften der Vereinigten Staaten vorsteht: „Diese Ukraine-Krise, in der wir uns gerade befinden, ist nur das Aufwärmen. Die große Krise kommt noch. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis wir auf eine Weise getestet werden, wie wir es schon lange nicht mehr erlebt haben. Wir müssen die Art und Weise, wie wir die Verteidigung dieser Nation angehen, schnell und grundlegend ändern. Ich sage Ihnen, die derzeitige Situation zeigt sehr anschaulich, wie nukleare Nötigung aussieht und wie man dem standhält oder nicht standhält.“
Nein, für den ranghohen Militär ist die kommende große Krise nicht der rasante Klimawandel. UN-Generalsekretär Antonio Guterres eröffnete die Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten mit drastischen Worten: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle, mit unserem Fuß fest auf dem Gaspedal.“
Die kommende große Krise für den Navy-Admiral ist, einer nuklearen Nötigung nicht standzuhalten. So plädiert er für eine weitere Aufrüstung nuklearer Art, dies, um die Abschreckung besonders gegenüber dem aufkommenden China zu stärken und um auf die atomaren Drohgebärden Russlands zu reagieren.
Der völkerrechtswidrige Ukraine-Krieg sei also nur ein „Aufwärmen“, so der ranghohe Navy-Admiral. Bei solchen Aussagen betreffend eine nukleare Aufrüstung müssen alle friedenspolitischen Alarmglocken schrillen.
Der ranghohe US-Militär zielt auch auf die Aufrüstung und Modernisierung der sogenannten taktischen Atomwaffen hin. Diese haben eine eingeschränkte Reichweite und eine geringere Sprengkraft als die strategischen Atomwaffen. Diese neue Generation von kleineren, lenkbaren Atombomben ermöglicht einen viel flexibleren und zielgenaueren Einsatz. Sie können in Gefechten eingesetzt werden, wo sie eine viel größere Zerstörungskraft haben als „gewöhnliche“ Waffen. Der Einsatz wäre also lokal begrenzt. Mal Klartext bei lokal begrenzt: Europa, der pazifische Raum oder die Region Indien-Pakistan könnten lokal begrenzte Regionen darstellen.
Genau diese Möglichkeit eines „begrenzten“ Atomkrieges hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt und die atomaren Rüstungsprogramme lassen darauf schließen, dass dies als Möglichkeit nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Die Hemmschwelle sinkt, solche zynischerweise als „smarte“ Atombomben bezeichnete Waffen einzusetzen. Die Eskalationsstufen einer solchen Auseinandersetzung mag sich keiner vorstellen.
Auch ein Einsatz von lokal begrenzten atomaren Einschlägen hätte eine verheerende Wirkung. Elektromagnetische Strahlung würden jedes elektrische Gerät lahmlegen, beim Einsatz mehrerer solcher „smarten“ Atombomben wäre auch ein sogenannter nuklearer Winter die Folge. Eine Fallstudie bei solch einem Konflikt in der indisch-pakistanischen Region zeigt die verheerenden klimatischen Folgen eines solchen nuklearen Winters.
In Hiroshima und Nagasaki kann man das menschliche Leid solcher Einsätze nachverfolgen. Setsuko Thurlow ist eine lebende Erinnerung an die Schrecken des Atomkriegs, sie überlebte die Hölle, den Atombombenabwurf über Hiroshima. „Um das Wesen eines Atomkriegs zu verstehen, ist ein Gedankensprung erforderlich, der fast unmöglich ist. Diese Waffen sind um Größenordnungen leistungsfähiger als alles, was man seit Jahrzehnten auf einem Schlachtfeld gesehen hat. Was sie mit menschlichen Körpern anstellen könnten, wenn sie heute zum Einsatz kämen, wäre so entsetzlich, dass es wie der Stoff aus Albträumen und nicht aus der Realität erscheint“, so ihre eindringliche Warnung.
Ein Fünkchen Hoffnung in Bali? Die weitere Isolierung Russlands anlässlich dieses Treffens könnte zu einer klugen nicht-öffentlichen diplomatischen Offensive zwecks Beendigung des Ukraine-Krieges führen. Den Aussagen zu den Atomwaffen müssten Abrüstungsschritte folgen. Abrüstungsschritte hin zu einer Welt ohne diese mörderischen Waffen. In diesem Sinne könnte Bali ein Fünkchen Hoffnung vermittelt haben.
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