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NationalmannschaftFLF-Torwart Anthony Moris: „Die Nationalelf besteht nicht nur aus 12 oder 13 Spielern“

Nationalmannschaft / FLF-Torwart Anthony Moris: „Die Nationalelf besteht nicht nur aus 12 oder 13 Spielern“
Mit gutem Beispiel vorangehen: Anthony Moris (r.) will den Neuankömmlingen das Leben leichter machen Foto: AFP/David Pintens

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Nicht der knappe Sieg gegen Eupen, sondern Provokationen und Beleidigungen bleiben zurück: Das Wochenende des Luxemburger Keepers der Union Saint-Gilloise war hochemotional. In den nächsten Stunden wird sich die Nummer eins der „Roten Löwen“ aber mit anderen Namen und Problemen beschäftigen müssen. Drei Tage vor dem Duell gegen die Türkei sprach der 32-Jährige über Saisonverlauf, Ziele und Eldin Latik.

Tageblatt: Am späten Sonntagabend berichtete die belgische Presse über Zwischenfälle in Eupen. Sie standen dabei im Mittelpunkt. Was war passiert?

Anthony Moris: Nicht alles, was man in den Zeitungen lesen konnte, hat sich auch so zugetragen. Es ist ein Fakt, dass es eine Vorgeschichte gibt, die auf die vergangene Saison zurückgeht (der Keeper wurde von den Eupener Fans u.a. ausgepfiffen und mit Feuerzeugen beworfen). Sowohl während des Spiels als auch danach gab es wieder Provokationen. Ich gestehe, dass auch ich nach Spielschluss vielleicht eine Reaktion gezeigt habe, die nicht hätte sein sollen. Aber das schreibe ich dem Adrenalin zu. Ich habe sogar gelesen, dass es angeblich ein Protokollschreiben der Polizei mir gegenüber gegeben haben soll. Das stimmt nicht. Ich hatte nichts mit den Autoritäten zu tun.

Sind dies trotzdem Erlebnisse, mit denen man sich länger beschäftigt, oder haben Sie die Angelegenheit bereits vergessen?

Es beschäftigt mich eher in der Hinsicht, dass ich mich frage, in welcher Gesellschaft wir heute leben. Was man mittlerweile in Fußballstadien sieht, ist nicht mehr gesund. Hinter den Toren standen Kinder. Diese haben Dinge gesehen, gehört und wiederholt … Das bereitet mir Sorgen. Ich will nicht, dass meine eigenen Kinder so etwas miterleben, wenn sie sich eines meiner Spiele ansehen. Ich bin stolz auf die Fans der Union St-Gilloise, die mit gutem Beispiel vorangehen. Ausgepfiffen zu werden, gehört dazu, auch manche Beleidigungen verkraftet man. Da gehört zur Folklore des Fußballs dazu. In Eupen spürte man, dass es pure Gewalt war. Man spielt Fußball aus Freude, um sein Trikot zu verteidigen, um zu gewinnen – aber keinesfalls, um wie in diesem Fall Leuten aus den Tribünen gegenüberzustehen, die dich körperlich angreifen wollen. 

Sportlich gesehen lief es dagegen zuletzt reibungslos, vor allem international. Wie haben Sie Ihr Comeback in der Europa League nach einem Einsatz für den Standard 2011 erlebt?

Dazwischen lagen viele Jahre harter Arbeit und Opfer, um auf dieses Niveau zurückzukommen und einen der größten internationalen Wettbewerbe zu bestreiten. Darauf bin ich stolz. Hinzu kommen unsere guten Ergebnisse. Wir stehen mit Braga punktgleich an der Tabellenspitze. Wir haben den schwedischen Meister und den Leader der Bundesliga geschlagen. Das zeigt, das wir diese Teilnahme verdient haben. Wir spielen jetzt seit drei Jahren zusammen und man merkt, dass sich etwas aufgebaut hat. Die vergangene Saison war kein Strohfeuer, wir sind konstant. 

Welcher der beiden Siege (1:0 gegen Union Berlin, 3:2 gegen Malmö) war spektakulärer?

Jedes Europa-League-Spiel hat seine Besonderheiten. Europäische Nächte sind die Highlights einer klassischen Saison. Wenn ich eine Partie hervorheben müsste, dann das Heimspiel gegen Glasgow (Champions-League-Qualifikation). Wir gewinnen zu Hause 2:0 gegen ein Topteam. Leider lief es dann nicht so gut im Rückspiel (0:3). Wir haben viel aus diesem Spielen gelernt.

In der ersten belgischen Liga dürfte der Überraschungseffekt des vergangenen Jahres verflogen sein …

Wir sind in dieser Saison die Mannschaft, die jeder schlagen will. Es gibt Gegner, die Revanche nehmen wollen. In der Tabelle stehen wir gut. Es hätte besser laufen können, wenn wir nicht diese Doppelbelastung gehabt hätten. Anders als beispielsweise Bruges oder Antwerpen haben wir keinen riesigen Kader. Für das, was man unsere Mittel nennen kann, haben wir einen guten Start hingelegt. Wir haben den Anschluss an die Leader noch nicht verloren. 

Welche Ziele verfolgt die Union Saint-Gilloise sowohl national als auch international?

Weiter von Spiel zu Spiel zu schauen, wie wir es schon seit drei Jahren tun. Das gelingt uns. Es bringt nichts, sich mit großen Zukunftsplänen zu beschäftigen. Wir müssen uns mit dem aktuellen Moment beschäftigen. Manchmal kommt es auch auf die Tagesform oder Verletzungspech an. Aber klar, wenn man erst einmal erlebt hat, wie es in den Titel-Play-offs zugeht, will man das nicht mehr missen. Aber es wird kompliziert, da es in diesem Jahr viele Anwärter gibt. 

Sie haben die Tagesform angesprochen. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Ich fühle mich gut. Die vielen Spiele innerhalb kürzester Zeit hinterlassen Spuren, man merkt das schon. Aber es sind ja genau Begegnungen auf hohem Niveau, für die man das ganze Jahr über kämpft. Da muss man manchmal ein paar Opfer bringen. Ich fühle mich jedenfalls bereit für die Nations League.

Sie haben Ihren Vertrag beim belgischen Vizemeister gerade erst bis 2026 verlängert. Warum dieses starke Zeichen?

Ich bin in einem Klub, der meinen Erwartungen und Zielen absolut gerecht wird. Die Union ist ein Klub, der sich stets weiterentwickeln will. Ich fühle mich hier sehr wohl. Natürlich spielte die Familie ebenfalls eine Rolle. Es war also ein logischer Schritt. Andersrum ist es auch ein starkes Zeichen des Klubs gewesen, der mir angeboten hat, vier Jahre zu verlängern. 

In der Nationalelf stößt diesmal ein neuer Nachwuchstorwart dazu. Haben Sie Eldin Latik bereits kennengelernt?

Ich bin ihm noch nicht begegnet und freue mich darauf, ihn kennenzulernen. Ich kann mich in ihn hineinversetzen und weiß also, wie es ist, wenn man als junger Torwart in ein neues Umfeld kommt. Wir werden ihn alle herzlich aufnehmen und ihn genauso behandeln, wie wir das vorher schon bei Lucas Fox oder Tim Kips getan haben. Wenn ich ihm irgendwie weiterhelfen kann, werde ich es tun.

Wie bewerten Sie die 0:2-Niederlage gegen die Türkei im Stade de Luxembourg?

Die Türkei ist uns, was die individuellen Qualitäten angeht, überlegen. Diesmal noch mehr aufgrund der vielen Ausfälle in unserem Team. Aber man hat gesehen, dass in einem einzelnen Spiel alles passieren kann. Wir müssen Mentalität, Einstellung und Kollektiv in den Vordergrund stellen. Im Hinspiel hat die Reife der Türken entschieden. Sie haben in den richtigen Momenten zugeschlagen. Das hat uns gefehlt. 

Um auf die vielen verletzungsbedingten Ausfälle einzugehen: Was bedeuten diese Personalwechsel direkt für Ihren Job als Torwart?

Wir kennen uns alle in- und auswendig. Mittlerweile spielen alle auf hohem Niveau und wissen, was im Profibereich gefordert ist. Sie haben allesamt Qualitäten. Es ist natürlich schade für die, die ausfallen. Aber das bietet anderen die Gelegenheit, Verantwortung zu übernehmen und zu zeigen, dass man auf sie zählen kann. Die Nationalelf besteht nicht nur aus 12 oder 13 Spielern, sondern aus einem viel breiteren Kader. Ich bin überzeugt, dass jeder, der am Donnerstag auf dem Platz stehen wird, die andern nicht nur vergessen lässt, sondern zeigen will, wer sie wirklich sind. 

Luxemburg geht mit fünf Punkten Rückstand auf die Türkei in die beiden letzten Duelle der Nations League. Wie lautet die Zielsetzung für den Endspurt?

Im Optimalfall für uns ein sechs von sechs und die Türkei null Punkte … Wir wissen aber, was uns erwartet. Wir konzentrieren uns auf dieses Auswärtsspiel in Istanbul und danach schauen wir erst auf Litauen. Es ist klar, dass die Türkei alle Karten in den Händen hält, um auf Platz eins abzuschließen. In diesem Türkei-Spiel werden wir wieder Erfahrungen sammeln, die uns für die zukünftigen Kampagnen wie der nächsten Europameisterschafts-Qualifikation weiterhelfen werden.