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Klangwelten: Die Banalität des Guten und die Musik der Erschöpfung

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HANNES WITTMER: Das große Spektakel
(9 von 10 Punkten)

Dass man für ein großes Spektakel weder Koks und Nutten noch Pauken und Trompeten braucht, sondern eine gewisse Gelassenheit sowie Bodenständigkeit durchaus dienlich sein können, das beweist der deutsche Singer-Songwriter Hannes Wittmer mit seinem neuesten Album.

Nun kann man vom blassen weißen Jungen namens Böhmermann halten, was man will, aber als der Satiriker die Rezeptur vieler Songs im deutschsprachigen Raum mit seinem Lied „Menschen Leben Tanzen Welt“ aufs Korn nahm und die reichlich vorhandene sprachliche Gülle auf mangelnde Kreativität zurückführte, hatte er auf dramatische Weise recht.

Wären alle ehemaligen deutschsprachigen Liedermacher auf einem einzigen Friedhof beerdigt, so würde dieser Ort wohl einem Kriegsschauplatz ähneln. Zu zahlreich die Gründe dafür, sich nicht nur im Grabe umzudrehen, sondern förmlich zu rotieren. Ihr Werkzeug, die pointierte Sprache, wird heutzutage zeitweilig derart zweckentfremdet. Fast so, als ob man sie ausmerzen wollte, bis auch das letzte Fünkchen Sinn als zweifelsfrei beseitigt gelten kann.

Natürlich kochen letztendlich alle Musiker nur mit Wasser. Für manche ist diese Zutat aber auch schon die einzige, der es noch bedarf, da sie sich ohnehin jenes Fertigfraßes bedienen, der sich zusehends in den Regalen breitmacht. Auch die, die sich trotzdem noch ihrem eigenen Süppchen widmen, nutzen häufig ähnliche oder gar gleiche Ingredienzen. Bei Hannes Wittmer, ehemals Spaceman Spiff, verhält sich das nicht viel anders, und doch hat das von ihm präsentierte bescheidene Gericht keinen bitteren Nachgeschmack. Auch er singt zum Beispiel oft von der Liebe, ihrer Abwesenheit oder ihrer übermäßigen Präsenz. Aber er tut es anders.

In seiner Musik herrscht ein strenges Floskel-Tabu vor und trotz seines sprachwissenschaftlichen Backgrounds verzichtet Wittmer auf linguistische Angeberei. Vielmehr platziert er hier und da elegant Verweise, Metaphern und Referenzen, die darauf schließen lassen, dass seine bisherige Lektüre aus weitaus mehr bestand als nur Kalendersprüchen oder der FB-Seite „Nachdenkliche Sprüche mit Bilder“. Der Sänger und Gitarrist weiß um die Komplexität des Einfachen, legt daher keinen drauf und konzentriert sich auf das Wesentliche.

Durch seine intelligente Genügsamkeit, die man nicht mit einer etwaigen Ambitionslosigkeit verwechselt sollte, gelingen ihm so Songs, die alltägliche Probleme unglaublich ungehetzt, frei jedweder Aufdringlichkeit, melancholisch, aber keineswegs melodramatisch auf den Punkt bringen. Besungen wird nicht das Bett im Kornfeld, sondern die handelsübliche 140-Zentimeter-Breite, die für das Individium reichen, zu zweit aber schon beengend wirken kann. Es geht um Freiheit in Beziehungen, (un)mögliche Reproduzierbarkeit von Emotionen und die Unfähigkeit, aus der (Liebes-)Geschichte zu lernen.

Das immerwährende Rennen gegen die Zeit, das trotzdem in existenzieller Stagnation enden kann, wird mit Bildern wie jenem eines spärlich bepackten Einkaufswagens gezeichnet, dem einzigen, das der Sänger den Textzeilen aus „Affen“ zufolge noch zu bewegen vermag.

Wittmers Texten wohnt eine gewisse Reife inne, die er nicht herablassend, dafür aber schlicht, fast schon trocken kommuniziert: „Nichts kann uns aufhalten – außer ein Job – oder eine Familie – wer soll das auch aushalten – ohne Regeln im Kopf – ein Leben ohne Ziellinie.“ Als Musiker ist er kein Weltverbesserer, macht indes auf die Konsequenzen aufmerksam, die blühen, wenn man sich lediglich auf den eigenen Mikrokosmos beschränkt: „der eigene Kokon – wird uns irgendwann die Welt zerstören – du wusstest Rom – wurde auch nicht – an einem Tag abgebrannt“ (aus „Rom“).

Radikalkur von der Musikwirtschaft

Vielleicht macht genau dieses Problematisieren ohne Vorschlaghammer jenseits des üblichen Ringli-Ringli-Rosen-Friede-Freude-Eierkuchen-Debakels auf dem deutschen Musikmarkt den Unterschied zu vielen anderen gleichsprachigen Songs. Worte aus Wittmers Feder sind nicht schroff und aggressiv, dennoch bedeutet seine pazifistische musikalische Haltung nicht, dass er nicht trotzdem kämpft und damit etwas erreichen kann.

Die instrumentale Hülle, die alle seine Aussagen umgibt, passt sich an, umschließt sie gekonnt zärtlich und trägt somit zu einem schlüssigen Gesamtkonzept bei. Dies mag nicht zuletzt auch daran liegen, dass Wittmer u.a. mit langjährigen vertrauten Begleitern – wie dem Drummer Jonny König oder auch Clara Jochum am Cello, die ihn auch gesanglich unterstützt – arbeitete. Hinzu kommt ebenfalls Felix Weigt am Bass, den Synthies sowie dem Piano.

Das Album ist weder im Handel noch auf Streaming-Plattformen zu finden. Hannes Wittmer hat sich selbst eine, wie er es nennt, „Radikalkur von der Musikwirtschaft, ihren Mechanismen und Widersprüchen“ verschrieben. Man kann das Album kostenlos auf seiner Internetseite (www.hanneswittmer.de) herunterladen. Dort erfährt man dann noch mehr über seine Entscheidung, ebendiesen Weg zu gehen.

Wem all dies noch immer nicht genug ist, der sehe sich nun dazu veranlasst, den 19. Februar extrem rot im Kalender anzustreichen, denn dann besucht Hannes Wittmer, der Trier im Laufe seines langjährigen Schaffensprozesses schon mehrfach beglückte, das Trierer Exhaus und wird – wie nun klar geworden sein sollte – seine eigene Interpretation eines großen Spektakels vorführen (Veranstaltung auf der Seite des Exhauses). Anne Schaaf


James Blake: Assume Form
(6 von 10 Punkten)

James Blakes vierte Platte zeugt, wie ihr Titel es bereits sagt, von einer dringlichen Formschönheit. Diese entspricht aber auch einer formalen Entspanntheit, die das Wohlbefinden des Sängers und Produzenten James Blake zwar akkurat widerspiegelt, den Zuhörer aber irgendwann auf der Strecke lässt.

Glückliche Musiker haben es schwer. Denn da, wo zufriedene Musik oft irrelevant und schlimmstenfalls nervig ist, fällt der melancholische Grundton oft leichter, wirkt dringlicher. Ob dies jetzt dadurch bedingt ist, dass der zufriedene Mensch weniger die klangliche Katharsis sucht als der unzufriedene, sei jetzt mal dahingestellt. Seit „The Colour In Anything“ macht James Blake zufriedene Musik – und thematisiert dies nicht nur in Klängen, sondern auch in seinen Texten, die einer relativ transparenten Nabelschau gleichkommen.

Auf „Assume Form“ spiegelt sich dieses Entblößen bereits auf dem Cover wider – im Gegensatz zu den vorherigen Platten sieht man den Musiker hier ungefiltert, wie er den Zuhörer in seiner Entspanntheit fast herausfordert. Und in der Tat ist dies eine schöne, aber auch eine ziemlich narzisstische Platte – weswegen Blake quasi als Kompensation dieser Selbstbezogenheit eine Reihe von Gastmusikern, darunter beispielsweise André 3000, eingeladen hat.

Diese verankern Blakes intime Klangwelten aber nur in der Außenwelt, weil sie zeitgenössische Poptrends (wie Autotune) in sein Werk einfließen lassen, und passen sich nahtlos an den Flow einer Musik an, die zwar sehr intim daherkommt, dem elektronischen Zeitgeist, den Blake mitgeschaffen hat, aber so sehr frönt, dass den Songs trotz der persönlichen Texten etwas sehr Unpersönliches anhaftet. Tracks wie „Are You In Love?“ oder „I’ll Come Too“ plätschern lediglich da hin, Lyrics wie „I thought that sex was at my pace but I was wrong“ kontrastieren mit der universalen Belanglosigkeit der Songs.

Anderswo, wie auf „Assume Form“, „Mile High“ oder „Lullaby For My Insomniac“, passen Form und Aussage perfekt, die Platte wird berührend und findet die Leichtigkeit, die Blake auf anderen Tracks nicht erreicht, weil das Humorvolle, die Ironie, die in den Texten manchmal durchscheint, fehlt. Auf „Assume Form“ steht Blake zu der Stilform, die er seit Jahren praktiziert und die er hier nuanciert und dem Zeitgeist anpasst. In dem Sinne ist der Plattenname Programm und Blakes neues Album eine Art Manifest. Nur fragt man sich, wie lange diese elektronische, minimalistische Popmusik noch begeistern kann, bis sie vollends ausgeschöpft ist. Jeff Schinker