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Hip-Hop-Queen Lauryn Hill kam, sang und siegte (fast) in Esch

Hip-Hop-Queen Lauryn Hill kam, sang und siegte (fast) in Esch

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Sie hat Musikgeschichte geschrieben: Mit ihrer sanften, aber dennoch durchdringlichen Stimme verstand es die US-amerikanische Künstlerin Lauryn Hill vor 20 Jahren, politischer Kompromisslosigkeit einen eigenen Sound zu verleihen. Auch in der Rockhal traf sie das Publikum da, wo es guttut. Ob ihre starken Botschaften von damals jedoch auch heute noch Nachklang finden, bleibt fraglich.

Eine der größten Ängste der Mixtape-Generation war es wohl, nicht rechtzeitig auf den Aufnahmeknopf zu drücken, wenn der Lieblingssong im Radio lief. Trotz des Drucks, dem man sich damit aussetzte, hatte dieses Prozedere etwas Magisches und der Soundtrack der eigenen Jugend, der hierdurch entstand, erlaubte die Tagträumerei, er sowie seine «Produzenten» seien einzigartig.

Lauryn Hill war allerdings nie nur die musikalische Heldin einiger verkappter Soundfetischisten. Die fünffache Grammy-Gewinnerin erreichte sowohl als eines von drei Mitgliedern der Fugees mit einem neuartigen Konzept von politischem Hip-Hop in den 90ern eine breite Zuhörerschaft als auch durch ihr 1998er-Soloalbum «The Miseducation Of Lauryn Hill». Nach ihrer «MTV Unplugged No. 2.0»-Platte, die 2002 veröffentlicht wurde, wurde es jedoch lange Zeit still um die Frau, die kein Blatt vor den Mund nahm.

Das Tonband hat demnach eigentlich vor vielen Jahren seine letzte Runde gedreht und fristete fortan ein einsames Dasein in einer vergessen geglaubten Kiste auf dem Speicher der Erinnerungen. Am Freitagabend fühlte es sich dennoch für einen kurzen Moment so an, als hätte jemand einen Bleistift in die Kassette des eigenen Lebens gesteckt und diese noch einmal um fast zwei Jahrzehnte zurückgespult.

Und doch hat sich einiges bei der Senderin sowie bei der Empfängerschaft geändert. Die Aufregung, den richtigen Moment vor dem Radio nicht abpassen zu können, musste in diesem Fall der Furcht davor weichen, die Künstlerin beehre das Publikum vielleicht gar nicht erst. Zahlreiche Medien hatten von vorherigen Auftritten berichtet, bei denen sie zu spät erschienen sein soll.

Schwierigkeiten mit dem «Einschalten»

Ebenfalls waren immer mehr Stimmen laut geworden, sie liefere extrem kurze, emotionslose Sets ab. Bereits vor drei Jahren hatte sich Hill diesbezüglich öffentlich zu Wort gemeldet und beteuert, sie habe nun mal keinen «An- und Abschaltknopf», der es ihr erlaube, immer genau dann bereit zu sein, wenn der Zeitplan es verlange. «I am at my best when I am open, rested, sensitive and liberated to express myself as truthfully as possible», so der Wortlaut. Ob man Lauryn Hills Ausführungen nun Glauben schenkt oder nicht: Die Problematik, als weltbekannter Musiker Menschen auf Knopfdruck einen unvergesslichen Moment bescheren zu müssen – unter anderem auch, weil sie dafür bezahlt haben –, stellt eine bittere Realität innerhalb des alles andere als romantischen Business dar.

Unweigerlich fühlt man sich an die ersten Zeilen von «Lost Ones» erinnert, das Hill samt Band und Backgroundsängerinnen direkt zu Anfang des Konzerts in der Rockhal interpretierte: «It’s funny how money changes a situation, miscommunication leads to complication.»

Ihre langjährigen Fans haben die «Queen» des Soul und Hip-Hop inthronisiert. Das verpflichtet und geht mit einer bestimmten Erwartungshaltung einher, die im Fall dieses Weltstars, der lange nichts von sich hören ließ, mit jeder Menge Nostalgie übertüncht zu sein riskiert. Man möchte fast glauben, die Lauryn Hill von heute solle hinter jener von damals zurücktreten und sei lediglich dafür zuständig, eine Art Ü30-Party für die coolen alternativen Kids (von damals) zu veranstalten, die eigens zu diesem Anlass wahlweise ihre Chucks oder auch ihre Adidas Superstars rausgekramt und poliert haben.

Die lange Stille nach den Hits

Ob ein derartiges historisches «Reenactment» indes gelingen kann, ist fraglich. Die mittlerweile 43-jährige Musikerin sprach beim einzigen Konzert in Luxemburg zwischen zwei Liedern davon, dass es sie berühre, dass viele ihr noch heute mitteilten, ihre Musik sei der «soundtrack of an upbringing» gewesen und habe sie dementsprechend beim Heranwachsen begleitet. Was man nicht vergessen darf, ist, dass auch Hill bei ihrem Welterfolg selbst erst Anfang 20 war und nun mit Anfang 40 als Legende gehandelt wird. Mittlerweile ist nicht nur das Publikum, sondern auch sie in einer anderen Lebensphase, eigentlich in einer anderen Welt, angekommen.

«We have seen the world changing», merkte sie an anderer Stelle an, und hatte auf traurige Art und Weise recht damit. Sowohl die Fugees als auch Lauryn Hill als Solokünstlerin schafften es ihrerzeit mit äußerst politischen Texten in die Charts. Hieß es damals noch ungemein zweideutig und provokant «Ready or not, refugees taking over» oder auch «I refugee from Guantanamo Bay dance around the border like I’m Cassius Clay» (aus «Ready or Not»), so scheinen derart klare Botschaften heute vollständig aus den Charts, teilweise gar aus der breiten musikalischen Öffentlichkeit verschwunden. Unangenehmer zusätzlicher Befund: Auch Lauryn Hill hat in all der Zeit geschwiegen.

Friede-Freude-Eierkuchen

Dass sie aber gerade diesen Track als Abschluss für die Konzerte auf der Tour wählte, lässt die Frage aufkommen, ob es sich dabei um eine Hommage oder eher doch einen Abgesang an ein früheres, nicht mehr wiederkehrendes Engagement handelt. Als dritte Alternative käme eventuell noch eine Art gesungene Warnung mit ins Spiel, im Sinne von «Nehmt euch in Acht, ich bin wieder da!». Leider fehlte es den restlichen Aussagen der Künstlerin dafür dann doch an Nachdruck und das Konzert kam – wenn auch gekonnt aufgetischt – aufgewärmter Gourmetkost in einer modernen Mikrowelle gleich.

Wer regelmäßig Konzerte besucht, dem wird nicht entgangen sein, dass es sich heutzutage sogar eine Helene Fischer nicht mehr leisten kann, nicht davon zu sprechen, dass wir uns alle lieb haben müssen, damit das mit der Welt und der Menschheit nicht bald schrecklich schiefgeht. Dennoch gehen die Botschaften vieler – und so auch jene von Frau Hill, die sich, wie es die Genre-Gepflogenheiten verlangen, immer wieder auf «One Love» beruft – nicht wirklich in die Tiefe.

Morbider Kitsch

Wenn sie dann außerdem noch wie am Freitagabend Frankie Vallis «Can’t Take My Eyes Off You» anstimmt, dann versteht sie es zwar, dem Song durch ihre nach wie vor starke, unverkennbare Stimme eine eigene Note zu verpassen, aber es bleibt ungeklärt, wer diesen Friede-Freude-Eierkuchen, den sie nicht mal selbst gebacken hat, eigentlich bestellt hat.

Im weltbekannten Song «Killing Me Softly», mit dessen Coverversion sich Lauryn Hill vor zwei Jahrzehnten den Weg in die Gehörgänge dieser Welt freikämpfte, geht es um eine Person, die von der Stimme eines anderen Menschen auf eine unbeschreibliche Art und Weise in den Bann gezogen wird. Natürlich durfte dieses Lied auch in der Rockhal nicht fehlen. Mehr als ein Fan wird die Liedzeilen insgeheim für sich umgedichtet haben: «Singing my life with her words. Killing me softly with her song.»

Fast schon morbid kitschige Prophezeiungen, zumal am Tag des Konzerts in Luxemburg die afroamerikanische Jazzsängerin Nancy Wilson starb, was Lauryn Hill mit den Worten beklagte: «We are losing our legends.» Zumindest diese Zeile wird nach dem Escher Konzert wohl noch lange im Kopf des einen oder anderen nachhallen. Mal schauen, ob die Künstlerin sowie ihre Fans da lebend rauskommen.