Headlines

Flavio Giannotte aus Roedgen: Der Degenfechter, der Mathelehrer werden wollte

Flavio Giannotte aus Roedgen: Der Degenfechter, der Mathelehrer werden wollte

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Flavio Giannotte, 23, ist Degenfechter mit Leib und Seele. Er gehört zum Elitekader des Nationalen Olympischen Komitees. Zum zweiten Mal in Folge wurde der Fechter des „Cercle Escrime Sud“ im März zum Escher Sportler des Jahres gekürt. „Fechten ist mein Leben“, sagt er. Dabei hat er durchaus noch andere Beschäftigungen und Leidenschaften. Sein Sportstudium in Reims, zum Beispiel. Oder schöne Autos, Motorsport, leckeres Essen und die norditalienische Stadt Turin. Vor allem aber nimmt Flavio sich, sooft es geht, Zeit für Freundin, Freunde und Familie.

Von Marco Goetz

Samstag. Kurz vor Mittag. Eine kleine Anhöhe irgendwo im Süden des Landes, inmitten von weiten Feldern. Der Blick reicht von den Hochöfen in Belval bis hinüber zu den Hochhäusern in Kirchberg. Die Sonne wärmt die Haut. Früh am Morgen hat Flavio bereits in der Fechthalle seines Klubs „Cercle Escrime Sud“ in Esch trainiert. Mit Hund Jacky, einem Golden Retriever, und dem Alfa Spider, Baujahr 1985, seines Onkels hat er anschließend einen seiner Lieblingsorte aufgesucht. Selbstbewusst und äußerst munter sitzt er auf einer Holzbank: „Hier kann ich abschalten und auftanken.“ Er wirft Jacky den Ball weit ins Feld hinein. Der Hund hechtet drauf los. Flavio lacht.

Die ersten Jahre seines Lebens verbringt er in Differdingen. Danach folgt der Umzug nach Roedgen. Sein Abitur macht er auf der B-Sektion im hauptstädtischen Lycée Michel Rodange. Mathe liebt er ganz besonders – und logisches Denken. Er möchte Mathelehrer werden. Doch er bricht das Studium nach einem Monat ab. Zeitlich ist es nicht mit dem Training mit der französischen Fecht-Jugendnationalmannschaft in Reims unter einen Hut zu bringen. Also entscheidet er sich für Sport an der Sportsuniversität in Reims.

Flavio hat nichts dagegen, bekocht zu werden, von der Großmutter zum Beispiel, aber er stellt sich auch selber sehr gerne an den Herd. Besonders wenn es um Nudeln geht, erwacht der Italiener in ihm: „Pasta muss unbedingt al dente sein“, sagt er augenzwinkernd. Essen sei für ihn mehr als Ernährung. Natürlich solle es gesund sein, es müsse aber auch gut schmecken, betont er. Essen bedeute vor allem aber Gemeinschaft und Geselligkeit. Mit der Familie und Freunden. Genießen und über Gott und die Welt reden.

Shopping in Turin und Leidenschaft für Motoren

Flavio ist vernarrt in alles, was einen Motor hat: „Als Jugendlicher habe ich stundenlang an meinem Scooter herumgebastelt, um ihn einige Kilometer schneller zu machen.“ Formel-eins-Rennen verpasst er selten. Selbstredend, dass er ein Tifosi von Ferrari ist. Auch die Formel-E (Meisterschaft für Formelwagen mit Elektromotor) gefällt ihm gut. Eine Karriere im Motorsport hätte ihn durchaus gereizt, meint er und verweist auf die Technologie und die Präzision, die in diesem Bereich nötig sind. Heute stellt er zumindest auf der Kartbahn sein Können unter Beweis: „Wenn immer mir etwas Zeit und Geld bleibt, drehe ich mit Freunden ein Paar Runden.“ Und dann ist da noch seine Leidenschaft für schöne und etwas ältere Autos – italienischen Fabrikats natürlich.

Flavio besitzt die italienische und luxemburgische Staatsbürgerschaft. Die Großeltern sind in Italien geboren und haben ein Haus in der Nähe von Turin. Seit Kindheitstagen verbringt er dort viele seiner Ferien. Er liebt die norditalienische Stadt am Po. Sei es zum Shopping – „Italienische Mode ist immer noch etwas anderes“ – oder um auf der Piazza San Carlo einen Café zu trinken und dem süßen Nichtstun zu frönen. Zeit verbringt er auch gerne in Portugal, im Heimatland seiner Freundin. Ansonsten zieht es ihn überall hin, wo er spontan hinfahren und seinen Horizont erweitern kann – ohne große Vorbereitungen und mit einem Zelt im Gepäck.

Der Wind frischt auf. Zeit, um diesen Ort der Ruhe zu verlassen. Flavio möchte aber noch zu gerne erzählen, wie er zum Fechtsport gekommen ist. Nämlich damals, als er als kleiner Junge, im Haus seines Onkels, die Fechtutensilien auf dem Dachboden findet und den Entschluss fasst: „Ich will wie Zorro sein!“ Fechten sei für ihn viel mehr als nur Sport, sagt Flavio: „Es ist eine Philosophie.“ Vieles in seinem Leben drehe sich darum: „Ohne Fechten wäre ich ein anderer Mensch und mein Leben wäre anders verlaufen.“ Jetzt läuft es, wie es läuft und Flavio bereitet sich auf die nächsten Ziele dieses Jahres vor: nämlich auf die Europameisterschaft in Düsseldorf und auf die Weltmeisterschaft in Budapest. Im Mai beginnt die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio. 2020 wird er ebenfalls mit der Schule fertig sein.

Und was dann? Festlegen möchte er sich nicht. Vielleicht Sportsoldat? Oder Sportmanagement studieren? Wer weiß? Flavio lässt sich so viele Türen wie möglich offen.