Bis zum Schlusstag war er der große Held von Paris-Nice, am Ende aber die traurige Gestalt und der große Pechvogel eines Rennens, das er tagelang nach Strich und Faden dominiert hatte. Primoz Roglic, der dreifache Etappensieger der „Course au soleil“, verspielte auf der gestrigen kurzen Schlussetappe von Le Plan-du-Var nach Levens (93 km) alles – außer seinem Grünen Trikot, das man ihm als Punktebestem nicht auf dem Podium überstreifen konnte, weil er in dem Moment in ärztlicher Behandlung war.
Roglic, der die letzte Etappe mit dem „Maillot jaune“ des Leaders in Angriff genommen hatte, verlor – wie letztes Jahr bei der Tour de France – im Schlussteil seine Führungsposition, diesmal aber nicht auf sportliche Manier, sondern durch doppeltes Pech.
Alles kam anders
Zuerst stürzte er nach knapp 23 km, stieg mit zerrissener Hose und zerschundenem Hinterteil wieder aufs Rad und schaffte es zurück ins Peloton. Wer nun geglaubt hatte, außer Prellungen und Schmerzen am Körper wäre der Slowene mit dem Schrecken davongekommen, wurde eines Besseren belehrt.
Auf der letzten der drei Schleifen im Hinterland von Nice hatte Roglic urplötzlich einen Defekt an seiner Maschine. Ehe er das Rennen fortsetzen konnte, waren die andern auf und davon. Vorne griffen sowohl die Astana- als auch die Cofidis-Mannschaft dem Team Bora-hansgrohe mit dessen Leader Maximilian Schachmann tatkräftig beim Tempobolzen unter die Arme, sodass Roglics Rückstand in der Steigung nach Levens ständig anstieg und ein Schlusssieg des Slowenen mit einem Male in weite Ferne rückte.
Am Ende traf Roglic als 56. mit 3:08 Minuten Verspätung auf den dänischen Etappensieger Magnus Cort-Nielsen ein, im Gesamtklassement fiel er weit hinter den Gewinner Schachmann auf den 15. Platz, mit 2:26 Minuten Abstand, zurück.
Am Samstagabend war die Welt für Primoz Roglic noch in Ordnung gewesen. „Warum soll ich jemandem den Sieg überlassen, wenn ich selbst gewinnen kann?“, meinte er im Ziel der 7. Etappe, die nach einem 16,3 km langen Anstieg in Valdeblore-La Colmiane endete.
Was war passiert? Der Slowene, seit Mitte der Woche unumstrittener Leader der Fernfahrt, hatte auf dem letzten Kilometer attackiert und das Tempo 300 m vor der Ankunft noch einmal beschleunigt, um seinen stärksten Widersacher Maximilian Schachmann abzuwimmeln.
Durch den starken Antritt hängte Roglic nicht nur den Deutschen ab, sondern er düste auch auf den Schweizer Jungstar Gino Mäder zu, der auf der Schlussrampe als einziger „Überlebender“ einer 13-köpfigen Ausreißergruppe krampfhaft versuchte, seinem bisher größten Erfolg entgegenzufahren. Vergebens! „Roglic sprintete so schnell an mir vorbei, dass ich mir eine Erkältung zuzog“, witzelte Mäder später, um sich seine Riesenenttäuschung erträglicher zu machen.
Im Radsport gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, das es dem Leader zwar nicht vorschreibt, aber immerhin empfiehlt, einem tüchtigen Angreifer den Tageserfolg zu überlassen, wenn dieser lange allein vorne fuhr und die Spitze des Gesamtklassements dadurch nicht über den Haufen wirft. Dass Roglic dies nicht tat, durfte niemand ihm verübeln, denn schon 24 Stunden später stellte sich bei seiner Pechsträhne heraus, dass im Laufe einer Rennwoche jede Sekunde zählen kann.
Mehr zugetraut
„Es war ein verrückter Tag“, sagte Schlussgewinner Maximilian Schachmann. „Meine Gefühle sind hin- und hergerissen. Primoz Roglic ist zweimal gestürzt, beim ersten Mal haben wir gewartet, beim zweiten Mal nicht, weil die Schlussphase um den Etappensieg schon eingeläutet war. Ich weiß nicht, ob ich glücklich über den Erfolg bin, es ist nicht unbedingt sympathisch, auf diese Weise zu gewinnen. Ich wollte meinen Titel mit Erfolg verteidigen, das ist mir gelungen. Anfangs der Woche war ich müde, weil ich aus einem Höhentrainingslager anreiste. Nach und nach ging es besser, auch dank der Mannschaft, die insbesondere auf der letzten Etappe riesige Arbeit leistete.“
Schachmann gewann das Rennen mit nur 19 Sekunden Vorsprung auf den Russen Aleksandr Vlasov (Astana), 23 Sekunden auf dessen spanischen Teamgefährten Ion Izagirre, 41 Sekunden auf den Australier Lucas Hamilton (BikeExchange) und 42 Sekunden auf den belgischen Vorjahreszweiten Tiesj Benoot (Team DSM). Nicht einmal eine Minute trennte demnach die ersten fünf Konkurrenten. Die beiden Luxemburger Fahrer beendeten Paris-Nice auf den Plätzen 27 (Bob Jungels, 9:01 zurück) und 104 (Alex Kirsch, 57:59 Minuten zurück).
Insbesondere Bob Jungels dürfte sich bei seinem ersten Rennen im Trikot der französischen Mannschaft Ag2r-Citroën mehr ausgerechnet haben. Am Samstag büßte er im Anstieg nach Valdeblore-La Colmiane als 31. genau 4:30 Minuten ein, am Sonntag traf er auf Platz 53 mit 2:24 Verspätung ein. Als Teamleader musste er sich im Laufe der Woche damit abfinden, dass der knapp 25-jährige Franzose Aurélien Paret-Peintre (9. Gesamtplatz auf 1:31) und der Australier Ben O’Connor (12. auf 1:44) die Fernfahrt weit vor ihm beendeten. „Mit den Plätzen von Paret-Peintre und O’Connor ist die Bilanz zufriedenstellend“, wird Manager Vincent Lavenu im Pressekommuniqué des Teams zitiert.
Im Überblick
7. Etappe: Le Broc – Valdeblore La Colmiane (119,2 km):
1. Primoz Roglic (SLO/Jumbo) in 3:09:18 Stunden
2. Gino Mäder (CH/Bahrain) 0:02 Minuten zurück,
3. Maximilian Schachmann (D/Bora) +0:05
4. Lucas Hamilton (AUS/BikeExchange) +0:08
5. Alexander Vlasov (RUS/Astana) +0:10
… 31. Bob Jungels (LUX/Ag2r) +4:30
… 75. Alex Kirsch (LUX/Trek) +17:31
8. Etappe: Le Plan-du-Var – Levens (92,7 km)
1. Magnus Cort (DEN/EF Education) in 2:16:58 Stunden
2. Christophe Laporte (F/Cofidis)
3. Pierre Latour (F/Total Direct Energie)
4. Dylan Teuns (B/Bahrain)
5. Warren Barguil (F/Arkea) alle gleiche Zeit
… 53. Jungels +2:24 Minuten
… 102. Kirsch +10:11
Gesamtwertung nach 8 von 8 Etappen:
1. Schachmann in 28:49:51 Stunden
2. Vlasov +0:19 Minuten
3. Ion Izagirre (ESP/Astana) +0:23
4. Hamilton +0:41
5. Tiesj Benoot (BEL/DSM) +0:42
6. Guillaume Martin (F/Cofidis) +1:14
7. Jack Haig (AUS/Bahrain) +1:18
8. Matteo Jorgenson (USA/Movistar) +1:29
9. Aurélien Paret-Peintre (F/Ag2r) +1:31
10. Mäder +1:32
… 27. Jungels +9:01
… 104. Kirsch +57:59
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