Die neue Weltmeisterin Balsamo genoss in der spätsommerlichen Sonne vor Zehntausenden Zuschauern ihren Triumph. Mit Regenbogentrikot und Maske stand sie auf dem Siegerpodium und lauschte der italienischen Hymne. „Ich bin komplett sprachlos, das ist unglaublich. Das war ein absoluter Traum für mich nach einer so langen und anstrengenden Saison“, sagte die 23-Jährige, die am Samstag etwas überraschend neue Weltmeisterin wurde. Balsamo profitierte nach langen 157,7 Kilometern von Antwerpen nach Leuven am Ende von der Teamarbeit ihrer Kolleginnen. Die Italienerin setzte sich im finalen Sprint durch.
Die Niederländerin Marianne Vos, die Silber holte, stand trotz der erreichten Medaille sinnbildlich für den missglückten Gold-Anlauf der dominierenden Niederländerinnen, die erstmals seit 2016 wieder im Straßenrennen der Frauen besiegt wurden. Bronze eroberte im Schlusssprint überraschend Katarzyna Niewiadoma aus Polen. Top-Fahrerinnen wie Annemiek van Vleuten oder Titelverteidigerin Anna van der Breggen, die diesmal als Helferin einsprang, gingen leer aus.
Lange vorne dabei war auch Christine Majerus, der auf den letzten Kilometern doch etwas die Kräfte ausgingen. Am Ende steht ein 33. Platz zu Buche – die 34-Jährige kam 50 Sekunden nach Balsamo im Ziel an. „Mit dem Ergebnis bin ich nicht zufrieden“, erklärte Majerus. „Aber wenn man sieht, wie die letzten Wochen verlaufen sind, ist es in Ordnung. Ich habe einen Monat kein Rennen bestritten und bin das Rennen am Samstag angegangen, wie ich es sollte. Ich habe alles richtig gemacht. In den wichtigen Momenten war ich gut positioniert – auf den letzten 15 Kilometern hat es dann gefehlt.“
In Bewegungen eingeschränkt
Am 27. August – also fast genau einen Monat vor der WM – stürzte Majerus bei der Simac Ladies Tour in den Niederlanden und zog sich eine Gehirnerschütterung zu. Die Vorbereitung auf eines der Highlights der Saison verlief also alles andere als optimal. „Ich habe nach dem Sturz eine Woche pausiert. Das Problem ist, dass mein Genick immer noch nicht in Ordnung ist. Ich bin in meiner Bewegung eingeschränkt, habe extrem Verspannungen und ab und an Kopfschmerzen. Ich will keine Ausreden suchen, aber es ist nun mal so. Ich habe ein kurzes Trainingslager im Ösling absolviert und ein Rennen bestritten, das allerdings nur über 2:20 Stunden ging. Im Vergleich: Heute (Samstag) waren es fast vier.“
Um bei dem Straßenrennen der EM am 11. September anzutreten, sei Majerus „definitiv noch nicht fit genug“ gewesen. Dass sie immer noch nicht bei 100 Prozent ist, zeigten am Samstag vor allem die letzten Kilometer. „Wenn man über einen Monat kein richtiges Rennen fährt, ist es normal, dass gegen Ende der Tank leer ist. Vor allem bei einer solchen Distanz – es war das längste Rennen der Saison. Ich bin gefahren, wie ich mir das vorgestellt habe, aber zum Schluss bin ich etwas ’explodiert’. Aber blickt man auf die Umstände, habe ich das Beste draus gemacht. Ich bin stolz darauf. Es sind auch einige Sportlerinnen weiter hinter mir gelandet, die eine bessere Vorbereitung hatten.“
Als zweite FSCL-Fahrerin ging am Samstag Nina Berton ins Rennen. Mit ihren 20 Jahren zählte Berton zu den zehn jüngsten Starterinnen im Feld. „Nina fährt vor allem bei der WM mit, um Erfahrung zu sammeln“, sagte Majerus, die bemängelte, dass es bei den Damen kein Rennen für die U23 gibt. Abgehende Juniorinnen müssen sich also direkt mit der Elite messen. „Ihr Ziel war es, so lange wie möglich dabei zu sein. Ich finde, sie hat sich gut aus der Affäre gezogen. Ich hoffe, dass es bald ein Rennen für die U23 geben wird. Der Sprung ist zu extrem. Es gelingt nur den wirklich guten Fahrerinnen, direkt bei der Elite erfolgreich zu sein. Kata Blanka Vas, die heute (Samstag) Vierte wurde, ist eine, die es geschafft hat. Aber das sind Ausnahmeathletinnen – davon gibt es nicht viele, auch in Luxemburg nicht. Nina muss von Jahr zu Jahr an ihrer Entwicklung arbeiten und dabei Spaß haben.“ Bereits 2020 fuhr Berton in Imola bei der Elite mit, erreichte aber nicht das Ziel. Am Samstag kam sie als 116. mit 22:01 Minuten Rückstand in Leuven an. Für Christine Majerus steht nun in der kommenden Woche Paris-Roubaix an, dann die Tour of Britain.
Schreiber glücklos
Am Samstagmorgen starteten die Juniorinnen ihr Straßenrennen. Siegreich war am Ende die Britin Zoe Bäckstedt, die nicht nur die Teamkollegin von Marie Schreiber bei Tormans-Circus Cyclo Cross Team ist, sondern auch die Tochter von Magnus Bäckstedt, der 2004 Paris-Roubaix gewann. Zweite wurde die US-Amerikanerin Kaia Schmid, dritte Linda Riedmann aus Deutschland.
Marie Schreiber hingegen hatte kein Glück. Die 18-Jährige fuhr erst nach einem Unfall im Peloton der ersten Gruppe hinterher, musste dann noch mit einem mechanischen Defekt kämpfen und war gezwungen, ihr Rad zu wechseln. Das luxemburgische Nachwuchstalent gab das Rennen vorzeitig auf.
Ergebnisse
Straßenrennen der Elite, Antwerpen-Leuven (157,7 km):
1. Elisa Balsamo (Italien) in 3:52:27 Stunden
2. Marianna Vos (Niederlande) gleiche Zeit
3. Katarzyna Niewiadoma (Polen) +0:01 Minute
… 33. Christine Majerus (Luxemburg) +0:50
… 116. Nina Berton (Luxemburg) +22:01
Straßenrennen der Juniorinnen, Leuven-Leuven (75 km):
1. Zoe Bäckstedt (Großbritannien) in 1:55:33 Stunden
2. Kaia Schmid (USA) gleiche Zeit
3. Linda Riedmann (Deutschland) +0:57
DNF Marie Schreiber (Luxemburg)
Drinks auf Kosten des Rad-Weltverbandes: Van der Breggen hört auf
Bei ihrem allerletzten Rennen begnügte sich die Weltmeisterin, Europameisterin und Olympiasiegerin mit einer Nebenrolle. Anna van der Breggen, Teamkollegin von Majerus bei SD Worx, übernahm im WM-Straßenrennen die Helferrolle und hatte am Ende im Zielort Leuven einen Rückstand von 9:30 Minuten. Doch ihr „Adieu“ vom professionellen Radsport konnte das kein Stück trüben. „Persönlich war es ein fantastischer Abschied. Ich bin wirklich froh, dass ich das so machen konnte“, sagte die 31 Jahre alte Niederländerin, die im Vorjahr in Imola WM-Gold gewonnen hatte und 2016 Olympiasiegerin wurde. Van der Breggen wechselt zum Jahr 2022 die Seiten und wird Sportdirektorin. Erste Erfahrungen soll sie schon nächste Woche beim Eintagesklassiker Paris-Roubaix machen. „Ich weiß nicht, ob ich im Teamauto fahren werde oder nicht. Aber ich bin mir sicher, dass es ein Rennen ist, bei dem ich viel lernen kann“, sagte van der Breggen. Mit einem breiten Grinsen kündigte sie an, bei einer Gala der UCI in Flandern „auf Kosten“ des Weltverbandes zu trinken.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können