Remco Evenepoel hielt auf dem Podest die Hand aufs Herz und den Regenbogenstreifen auf seiner Brust. Als dem 22 Jahre alten Radsport-Shootingstar im Weltmeistertrikot sein Coup so richtig bewusst wurde, blickte einer seiner größten Rivalen betrübt und frustriert dem Gang vor Gericht entgegen.
Ein Skandal um den Niederländer Mathieu van der Poel, der wie Evenepoel zu den Top-Favoriten gezählt hatte, überschattete das turbulente Straßenrennen der WM in Australien. Van der Poel hatte weite Teile der Nacht zu Sonntag nach einer Auseinandersetzung mit lautstarken Teenagern auf einer Polizeiwache verbracht. Der geplante Angriff auf den WM-Titel – unmöglich.
Dagegen trumpfte Evenepoel mit einem beeindruckenden 25-km-Solo ganz groß auf. Nur zwei Wochen nach dem Gewinn der Vuelta in Spanien bewies der in seiner Heimat als Erbe des großen Eddy Merckx gefeierte Radprofi einmal mehr sein Ausnahmetalent. „Ein Traum ist wahr geworden, es ist unglaublich. Ich bin superglücklich“, sagte Evenepoel.
2:21 Minuten Vorsprung hatte er nach intensiven 266,9 km rund um Wollongong südlich von Sydney auf die Verfolger. Silber ging an den Franzosen Christophe Laporte, Michael Matthews sicherte Gastgeber Australien Bronze. Evenepoels Teamkollege Wout van Aert, der ebenfalls Siegansprüche hatte, wurde Vierter.
Geniets in der richtigen Gruppe
Kevin Geniets war ebenfalls Teil dieser ersten Gruppe nach Evenepoel. Etwa 75 Kilometer vor dem Ziel hatte Geniets Teamkollege bei Groupama-FDJ, Valentin Madouas, attackiert. Es bildete sich folglich eine starke Gruppe um Evenepoel, in der auch Geniets dabei war. „Als die Leute rausfuhren, dachte ich, dass das die richtige Gruppe war. Da waren sehr starke Leute dabei“, erklärte Geniets.
Die Vorentscheidung fiel bei der vorletzten Überfahrt des kurzen, aber giftigen Anstiegs am Mount Pleasant (1,1 km/8,8 Prozent). Evenepoel attackierte mit einer explosiven Tempoverschärfung und fuhr seinem letzten Begleiter Alexei Luzenko davon. „Als er wegfuhr, konnte ich nur zuschauen, weil ich der einzige Luxemburger war. Ich musste warten, was die anderen Nationen machten“, sagte Geniets. Zwar wurde Nachführarbeit geleistet, doch der Belgier sei laut Geniets „einfach viel stärker als alle anderen“ gewesen.
Am Ende fuhr Geniets also in der Gruppe, die um den 2. Platz sprintete, mit und erreichte den 21. Platz. „Ich bin mit der Leistung sehr zufrieden. Ich war einer der 15 stärksten Fahrer der WM. Das Einzige, das schade ist, ist, dass ich kein Resultat mit nach Hause nehme. Während des Rennens war das Ziel Top Ten. Ich war die ganze Zeit gut positioniert und fühlte mich richtig gut.“ Bob Jungels wurde auf 3:01 Minuten 45., Luc Wirtgen erreichte das Ziel 11:28 Minuten nach dem Weltmeister auf Platz 95. Colin Heiderscheid gab das Rennen auf.
Skandal um Van der Poel
Ebenfalls nicht ins Ziel fuhr Mathieu van der Poel. Der Klassiker-Spezialist stieg nach einer chaotischen und schlaflosen Nacht übermüdet bereits nach rund 30 Kilometern vom Rad.
„Ich wollte gestern Abend früh ins Bett gehen, aber auf dem Hotelflur waren viele Kinder, die ständig an meine Tür geklopft haben“, berichtete van der Poel: „Nach einer Weile hatte ich die Nase voll. Ich sagte ihnen auf eine nicht sehr freundliche Art und Weise, dass sie aufhören sollen. Da wurde die Polizei gerufen.“
Nach Angaben der Polizei, die keinen Namen nannte, sollen zwei Teenagerinnen im Alter von 13 und 14 Jahren gestoßen worden sein. Eine der beiden soll daraufhin zu Boden gegangen sein, die andere eine kleine Schürfwunde am Ellbogen erlitten haben.
Erst um vier Uhr sei er ins Hotel zurückgekehrt, sagte van der Poel. Gegen ihn wurde Anklage wegen zweier Fälle geringer Körperverletzung erhoben. Er muss am Dienstag vor einem Gericht in Sutherland erscheinen. (SID/pg)
Im Überblick
WM-Straßenrennen der Männer, Helensburgh – Wollongong (266,9 km):
1. Remco Evenepoel (Belgien) 6:16:08 Stunden
2. Christophe Laporte (Frankreich) 2:21 Minuten
3. Michael Matthews (Australien)
… 21. Kevin Geniets (Luxemburg) alle gleiche Zeit
… 45. Bob Jungels (Luxemburg) 3:01
… 95. Luc Wirtgen (Luxemburg) 11:51
DNF Colin Heiderscheid (Luxemburg)
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