Sein beruflicher Parcours, seine Vielseitigkeit und seine genuine Begeisterungsfähigkeit unterscheiden ihn von vielen seiner Parlamentskollegen. Nun verlässt Marcel Oberweis (69) das Abgeordnetenhaus. Mit ihm verliert die CSV-Fraktion ein Original.
Tageblatt: Was war Ihr größter politischer Erfolg?
Marcel Oberweis: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich als Ingenieur ins Parlament einziehen werde. Mein Gedanke dabei war stets, der Energiewende und der Umwelt viel Bedeutung beizumessen. Ich wollte der Natur eine Stimme geben. Alles, was wir Menschen tun, hat ja einen Einfluss auf die Umwelt. Zweitens wollte ich jenen Menschen, mit denen ich im Rahmen von Kooperationsprojekten zu tun habe, eine Stimme geben. Damit die Menschen hier, nicht nur im Parlament, erkennen, was sich draußen in der großen Welt abspielt. Zum Beispiel, dass wir als Nordeuropäer und Nordamerikaner so viel grabschen, dass nichts mehr für die anderen übrig bleibt.
Als Professor am Technikum kamen Schüler von einer «1re classique» und einer «13e technique» zu mir. Ich stellte fest, dass das zwei verschiedene Welten sind. Und meinen Schülern habe ich gesagt, falls ich einmal mitbestimmen kann, werde ich mich dafür einsetzen, diesen Unterschied abzuschaffen. Er ist nun weg.
Und Ihre größte Enttäuschung?
Vieles konnte nicht umgesetzt werden, wie ich mir das eigentlich vorgenommen hatte. Zum Beispiel meine Vorstellungen zur Umwelt. Während der Krisenjahre ab 2008 gab es leider andere Prioritäten.
An welchem Projekt hätten Sie noch unbedingt mitwirken wollen?
Ich wäre gerne bei der Umsetzung des Universitäts- und des Naturschutzgesetzes dabei gewesen. Und natürlich die sektoriellen Leitpläne. Sie sind wichtig für unsere Raumordnungspläne in den Gemeinden und für den Umgang mit der Natur.
Im Parlament sind verschiedene Parteien vertreten. Die meisten Gesetzesvorhaben werden auch von der Opposition mitgetragen. In dieser Legislaturperiode beispielsweise hat die CSV 80 Prozent der Projekte befürwortet. Gab es in Ihrer politischen Laufbahn Momente, in denen Sie sich sagten: Eigentlich könnte ich ja auch in jener Partei sein?
Ja, derlei Augenblicke gab es durchaus. Ich könnte mir bei einzelnen Punkten vorstellen, in einer grünen Partei zu sein, bei anderen bei «déi Lénk». Ich sage mir ja, niemand ist im alleinigen Besitz der Wahrheit. Wenn Vertreter dieser Parteien sich zu Fragen wie Globalisierung oder dem zügellosen Rennen nach Wachstum äußerten, habe ich mich auch in anderen Parteien wiedererkannt. Ich trage die Vorstellungen eines planlosen Wachstums nicht mit.
Gab es in Ihrer Vergangenheit Misstöne zwischen Regierung und Parlament? Was stört im Verhältnis Regierung-Parlament?
Ich hätte mir mehr Kompromisse gewünscht. Es ist nun mal leider so, dass Parteien mit vorgefertigten Meinungen kommen und dann wird eben dieser Standpunkt durchgesetzt. Auf unserem kleinen Stück Erde müssten wir doch in der Lage sein, Kompromisse einzugehen. Und auch zugeben, dass es sich nicht lohnt, auf einer Position zu beharren. Ich habe meinen Studenten immer als Beispiel gesagt: Wenn zwei Ziegen auf einer Brücke stehen und beide wollen weitergehen, fallen beide runter, weil sie nicht verstehen, dass sie sich verständigen müssen.
Oftmals finden sich sowohl auf Mehrheits- als auch auf Oppositionsseite Stimmen, die der Gegenseite zustimmen würden. Aber leider gibt es ja so etwas wie Fraktionszwang. Ein Beispiel: Ich bin ein totaler Gegner von Space Mining (die CSV hat im Parlament das entsprechende Gesetzesprojekt von Wirtschaftsminister Etienne Schneider mitgestimmt; d.R.). Als Ingenieur sage ich: Das ist rausgeschmissenes Geld.
Bei Accra in Ghana gibt es die weltweit größte Elektroschrottmüllhalde, so groß wie ganz Esch. Dort verbrennen junge Menschen diesen Schrott, um wertvolle Metalle und andere Stoffe daraus zu gewinnen. Sie sterben an den giftigen Rauchschwaden. Wir könnten ihnen doch eine Anlage errichten, um den Schrott zu recyceln, so wie das unter anderem auch bei uns geschieht. Ich beabsichtige ein derartiges Projekt mit Partnern und könnte auch mit staatlicher Unterstützung rechnen.
Wir können doch etwas anderes tun. In Burkina Faso habe ich erlebt, wie kleine Kinder nach seltenen Erden suchen. Sie sterben, wenn der Stollen einstürzt. Lasst uns doch das Geld nehmen und dort unten etwas errichten. Ich habe Herrn Schneider (Etienne) das gesagt, doch das ist zwecklos. Das sind die festgetretenen Pfade, die man nicht verlassen möchte. Bei der Abstimmung (über das Space-Mining-Projekt) habe ich den Plenarsaal verlassen.
Was müsste noch getan werden, um die Parlamentsarbeit zu verbessern?
Als Abgeordneter müsste man viel öfter zu den Menschen gehen und ihnen zuhören. Hätte ich die Möglichkeit dazu, ich würde eine Volkshochschule schaffen, eine Hochschule, wo Menschen sich begegnen können, um sich auszutauschen, wo Menschen das Gefühl bekommen, dass sie etwas mitzuteilen haben. Auch sollte man mehr auf die Jugend hören, ihre Sorgen verstehen und ernst nehmen.
Nutzt das Parlament seine Vollmachten?
Zum Teil schon. Wir müssten interaktiver sein und entsprechende Plattformen entwickeln – nicht solche, wo man bloß gehässige Kommentare abgibt. «Chamberblietchen» und Chamber-TV sind gut, aber wer liest oder schaut das schon?
Was würden Sie einem jungen Parlamentsmitglied oder einem jungen Menschen, der sich der Politik verschreiben will, raten?
Er sollte nicht zu früh in die Politik einsteigen, ins Parlament gehen. Er sollte ein solides Fundament bekommen, mindestens 15 Jahre berufstätig sein. Und wenn er mit Anfang 40 der Ansicht ist, er wolle etwas bewirken, sich einbringen in die Verbesserung der Gesellschaft, dann soll er sich um einen Parlamentssitz bemühen. Er kann sich natürlich früh einer politischen Partei anschließen, aber er soll sich zuerst beruflich entwickeln und eine Familie aufbauen. Wenn man sich jedoch für die Politik entscheidet, sollte man keine Angst haben, seine Meinung zu sagen und dafür einzutreten. Allzu früh ist es nicht gut. Es ist keine Unehre, einen Beruf auszuüben.
EXTRA: «Den Menschen vor Ort eine Chance geben»
Er richtet Fotovoltaik-Anlagen ein, verbreitet Methoden zur Bodenbefestigung durch die Benutzung von Pflastersteinen aus recyceltem Plastikmüll. Marcel Oberweis: «Ich bin in vier Nichtregierungsorganisationen aktiv, habe soeben eine Gesellschaft gegründet, eine «S.à r.l. simple», um in mehreren afrikanischen Ländern Projekte zu verwirklichen. Ich habe mir vorgenommen, mich in den kommenden sechs Jahren damit zu beschäftigten. Außerdem habe ich mich eines Umweltprojekts in Bosnien-Herzegowina angenommen.» Oberweis’ Philosophie: Man muss den Menschen vor Ort eine Chance geben. Wenn sie keine haben, brechen sie auf und verlassen ihr Land.
Seit 2004 gehörte Marcel Oberweis dem Abgeordnetenhaus an. Im Juni ist Schluss.
Erst mit 55 Jahren wurde er Parlamentarier. Zuvor war der Diplomingenieur an der Uni Luxemburg tätig. Politisch aktiv ist Oberweis auch auf kommunaler Ebene. Seit 1994 gehört er dem Gemeinderat von Steinsel an.
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