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Die zwei Seiten der Politik-Medaille

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Claude Adam ist ein profunder Kenner des Luxemburger Bildungswesens. Die Parlamentsbühne hat der grüne Politiker nun verlassen, um sich erneut der Arbeit vor Ort zu widmen. Ein Gespräch über seine Erfahrungen als Abgeordneter.

Zurück in die Schule

Nicht aus Frust, sei er zurückgetreten, sagt Claude Adam (59), auch wenn eine gewisse Amtsmüdigkeit schon vorhanden war. Eigentlich habe er im Oktober 2017 auch nicht mehr zu den Gemeindewahlen antreten wollen. Seine Mannschaft habe ihn gebraucht. Die Rückkehr in die Kommunalpolitik nach einer mehrjährigen Pause tut ihm nicht leid. Diese Art Politik nahe am Bürger mag er. Als Grund nicht mehr zu kandidieren, nennt der ehemalige Schulinspektor, sein Wunsch, noch etwas anders tun zu wollen. Er sei immer Lehrbeauftragter gewesen und die Betreuung von Studenten liege ihm gut, so Adam. Als seine Parteikollegin Sam Tanson dann zusagte, seine Nachfolge anzutreten, sei ihm die Entscheidung leicht gefallen.

Tageblatt: Was war Ihr größter politischer Erfolg?

Claude Adam: Ich habe mich stets als Mitglied einer Mannschaft gefühlt und für mich war der größte Erfolg, dass wir nach langer Zeit in der Opposition die Möglichkeit bekommen haben, in eine Regierungsmehrheit zu kommen. Und das, obwohl wir am Wahlabend 2013 relativ frustriert waren, weil wir einen Sitz verloren hatten, womit wir nicht gerechnet hatten. Als sich dann über Nacht die Perspektive bot, und weil ich in Mersch bereits die Oppositionsarbeit geschmeckt und die Arbeit auf der anderen Seite gekannt habe, stand für mich fest: Wenn wir schon die Möglichkeit einer Regierungbeteiligung kommen, sollte man nicht Nein sagen.

Ich habe das Parlament zweimal aus der Opposition her erlebt, was mir gefallen hat, weil ich das Dossier Schule und Erziehung offensiver angehen konnte, und ich habe es aus der Sicht der Mehrheit erlebt. Da konnte ich mich mit Dossiers befassen, die uns am Herzen liegen, aber eigentlich nicht meine waren.

Und Ihre größte Enttäuschung?

Eine große Enttäuschung war das Wahlergebnis von 2013. Niemand hatte damit gerechnet, dass wir von sieben auf sechs Sitze zurückgehen würden. Ich war enttäusch für unsere Mannschaft, schließlich hatten wir gute Arbeit geleistet. Das Erziehungsdossier habe ich weitergeführt, aber in einer Mehrheit muss man anders arbeiten. Der Minister, der das Ressort verantwortet, ist federführend, und wenn ich in einer Koalition bin, dann kann ich wohl vor und nach der Ausschusssitzung den Minister ansprechen, aber in der Ausschusssitzung bin ich nicht der Sprecher der Opposition, sondern der Mehrheit. Ich konnte das aber dadurch kompensieren, dass ich außenpolitische Dossiers verfolgen konnte. Das ist für einen Politiker eigentlich das Schönste. Sternstunde war, wenn Außenminister Jean Asselborn in den Ausschuss kam, und das geschah oft, und er uns über seine Begegnungen erzählte und die dabei angesprochenen Themen. Außerdem konnte ich bei vier außenpolitischen Erklärungen die Haltung meiner Partei darlegen. Als Wahlbeobachter habe ich schließlich gesehen, dass es viele unterschiedliche Wahlsysteme gibt, aber keines, das unserem ähnelt, das so viel Raum für das Panaschieren lässt. Bei uns ist es daher schwer zu sagen, was der Wähler denn eigentlich will.

An welchem Projekt hätten Sie noch unbedingt mitwirken wollen?

Ja, es gibt deren viele. Das Uni-Lëtzebuerg-Projekt interessiert und alles, was in der Schule geschieht. Ich habe das Gefühl, mit jedem Gesetz, das wir im Parlament verabschieden, wird ein neues Formular geschaffen. Man kann fast nicht mehr organisieren, ohne zuerst eine Genehmigung bekommen zu haben. Das ist zwar ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wir müssen aber in der Schule den Menschen Verantwortung überlassen, die sie tragen können. Außerdem sollte man nicht immer wieder neue Strukturen schaffen, sondern versuchen, die bestehenden zu festigen. Wäre ich in der Opposition, würde ich von Aktivismus sprechen. Nun sage ich, wir haben einen Minister, der reagiert.

Im Parlament sind verschiedene Parteien vertreten. Die meisten Gesetzesvorhaben werden auch von der Opposition mitgetragen. Gab es in Ihrer politischen Laufbahn Momente, in denen Sie sich sagten: Eigentlich könnte ich ja auch in jener Partei sein?

Am Anfang meines politischen Engagements kam die LSAP infrage. Es war damals eine Partei, die man noch als links bezeichnen würde. Heute macht die Unterscheidung rechts-links eigentlich keinen Sinn mehr. Spätestens seit dem Irak-Krieg, bei dem Jacques Chirac sagte, man mache nicht mit, Tony Blair schon, war für mich offensichtlich, dass das Links-rechts-Schema aus den 1960er bis 1980er Jahren nicht mehr funktioniert. LSAP wäre infrage gekommen. Heute erkenne ich mich in Sachen Wertkonservatismus streckenweise bei der CSV wieder. Wenig kann ich mit einer liberalen Partei anfangen. «déi Lénk», vielleicht in meiner Jugend. Aber heute kann ich mich nicht darin wiedererkennen, denn es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Fragen.

Gab es in Ihrer Vergangenheit Misstöne zwischen Regierung und Parlament? Was stört im Verhältnis Regierung-Parlament?

Es ist evident, dass in einem kleinen Land wie Luxemburg Chamber und Regierung zusammenarbeiten. Ich habe immer bedauert, dass wir als Abgeordnete nicht ausreichend Mittel zur Verfügung haben, um Mitarbeiter einzustellen. Ich war in sieben Ausschüssen, die ein breites Themenspektrum abgedeckt haben. Unser Ausschuss für Hochschule etwa, der auch zuständig für Forschung, Hochschulwesen, Medien und Kommunikation ist. Die außenpolitische Ausschuss: Das ist Außenpolitik, Migrationspolitik, Europapolitik – und mir als Abgeordneter steht ein halber Mitarbeiter zur Verfügung. Mein deutscher Kollege hat drei bis vier Mitarbeiter und er sitzt nur in einem Ausschuss. Was für uns Abgeordnete zählt, gilt natürlich auch für unsere Regierung. Ein deutscher Minister hat sechsmal mehr Mitarbeiter als der Luxemburger. Als Land machen wir dennoch eine ausgezeichnete Arbeit.

Womit Sie bereits auf die nächste Frage geantwortet haben, was noch getan werden müsste, um die Parlamentsarbeit zu verbessern.

Mehr Mittel und mehr Mitarbeiter. Ich beobachte das aus der Perspektive einer kleinen Partei. Es gibt aber noch kleinere Parteien. Die Kollegen von «déi Lénk» etwa müssen zu zweit eine Unmenge an Dossiers bearbeiten. Schön ist natürlich, dass ich als einziger Abgeordneter meiner Fraktion meinen Kollegen meine Dossiers erklären kann und dann später im Parlamentsplenum auch darüber reden werde. Ich stehe also nicht in Konkurrenz zu anderen Fraktionskollegen. Der Nachteil ist, dass ich mich auch mit Dossiers beschäftigen muss, die mir nicht so liegen. Es fehlt uns die Möglichkeit, uns zu spezialisieren. Das Parlament hat eigentlich wenig Spezialisten. Wenn dann Fachleute aus dem Parlament ausscheiden, wie Ben Fayot für den Bereich Hochschule oder Paul-Henri Meyers in Verfassungsfragen, geht Wissen verloren. Ich bin einer der wenigen, die die ganze Reform der Grundschule begleitet haben.

Nutzt das Parlament seine Vollmachten?

Das Parlament leistet gute Arbeit trotz aller bestehenden Zwänge. Es ist einfach, auf Politiker und Institutionen zu schimpfen, aber wir brauchen starke Institutionen, die standhaft bleiben und nicht bei der ersten lauen Brise umfallen. Es wird oft über die Deputiertendiäten geredet. In der Ukraine beispielsweise reicht die Entschädigung nicht, um zu leben. Deshalb grassiert die Korruption. Meiner Ansicht nach soll ein Deputierter anständig bezahlt werden, und dann kann man von ihm erwarten, dass er sauber bleibt. Dort befinden wir uns. Darüber sollte sich jeder normale Bürger freuen.

Was würden Sie einem jungen Parlamentsmitglied oder einem jungen Menschen, der sich der Politik verschreiben will, raten?

Ich freue mich über jeden jungen Menschen, der sich politisch und gesellschaftspolitisch engagiert. Fragen stelle ich mir aber schon, wenn manchmal gesagt wird, es gebe ungenügend junge Menschen im Parlament. Ist oberstes Ziel eines jungen Menschen, ins Parlament zu kommen? Für mich war das nicht der Fall. Ich war immer gesellschaftspolitisch engagiert im «Mouvement écologique», in der Friedensbewegung. Ich war 17 Jahre Lehrer in Mersch. Wir hatten damals einen Bürgermeister, bei dem ich mir sagte, die Menschen haben etwas Besseres verdient. Da ging ich in die Politik. Es gab aber auch schon damals in meiner Klasse junge Menschen, die sagten, ihr Ziel sei es, Minister zu werden. Die wurden das auch.

Meiner Ansicht nach soll ein junger Mensch authentisch sein, er soll sich für Ideen einsetzen. Er soll sich für seine gesellschaftspolitischen Ziele einsetzen, generationsübergreifend kommunizieren. Jede Partei gibt motivierten Leuten eine Chance. Wenn das Parlament so wenig junge Menschen zählt, hat das viel mit unserem Wahlsystem zu tun. Ist es denn unlogisch, wenn Leute gewählt werden, die durch ihr jahrzehntelanges Engagement bekannt wurden? Bringt es mehr, wenn ein 29-Jähriger gewählt wird, weil er gut Fahrrad fahren oder Karate konnte. Ich stelle das bloß mal so in den Raum.


Ein halbes Dutzend Abgeordnete stellen sich im Oktober nicht mehr der Wahl. In unserer Gesprächsserie schilderten sie uns, was sie in ihrer politischen Laufbahn geprägt hat, auf welche politischen Erfolge sie besonders stolz sind, was sie im Verhältnis Regierung-Parlament gestört hat.
Die Gespräche mit Anne Brasseur (DP), Roger Negri (LSAP), Paul-Henri Meyers (CSV), Marcel Oberweis (CSV) und Frank Arndt wurden am 10., 11., 13., 18. und 20.4. veröffentlicht.