Als spiele er mit einer Puppe zerrt Gorilla Harambe ein Kleinkind durch den Wassergraben. Dessen Mutter ruft ihm mit Schrecken in der Stimme noch beruhigende Worte zu. Mehrere Meter tief ist der Junge am 29. Mai in der US-Stadt Cincinnati in ein Affengehege gestürzt. Besucher filmen. Bange Minuten vergehen, bis der Zoo eine Entscheidung fällt, die für Diskussionen sorgt: Harambe wird erschossen. Der Primat ist nicht das einzige Tier, bei dem Menschen in der jüngeren Vergangenheit das Todesurteil sprachen.
Nur rund eine Woche vor dem Fall in Cincinnati lässt ein chilenischer Zoo zwei Löwen erschießen. Ein Mann hatte sich in wohl selbstmörderischer Absicht Zugang zu deren Gehege verschafft. Im Duisburger Zoo türmt im September 2015 ein Orang-Utan aus dem Affenhaus. Da er eine Gefahr für Menschen sein könnte, wird er erschossen.
Beispiele gibt es auch außerhalb von Zoos: In einem Berliner Schwimmbad drückt im Frühling ein Förster vor den Augen der Badegäste ab: Im Visier hat er einen zahmen, aber verletzten Stadtfuchs. Mit Zoo-Tieren eint ihn sein Maskottchen-Status in dem Bad. Bei Tierfreunden noch in Erinnerung sind auch «Problembä»» Bruno, erlegt 2006 in Bayern, und Wolf Kurti, erschossen diesen April in Niedersachsen.
Von Fall zu Fall differenzieren
Typisch nach solchen Fällen ist heutzutage die Empörung, die sich im Internet Bahn bricht. Da werden mal Petitionen gestartet, teils wüste Kommentare und Schuldzuweisungen verfasst, für den Berliner «Fuchsi» soll es sogar eine Mahnwache gegeben haben. Andere belassen es im Netz bei «RIP» und weinenden Emoticons. Über alledem schwebt gerade bei den nicht als Schädling geltenden Zootieren die Frage: War der Schuss wirklich notwendig?
«Man muss von Fall zu Fall differenzieren», sagt James Brückner vom Deutschen Tierschutzbund. «Radikale Reaktionen bringen keinem etwas.» Beim Thema Tierschutz kochten schnell die Emotionen hoch. Menschen machten sich kaum Gedanken über die Hintergründe und über Alternativen, die es jeweils gegeben hätte. «Auch Zoos müssten schon im Vorfeld besser überlegen, welche Optionen ihnen in Notsituationen außer dem Abschuss zur Verfügung stehen», findet Brückner.
Aus «ständigen Zwischenfällen» in Zoos zieht der Tierschützer den Schluss, dass die Einrichtungen ihre Sicherheitskonzepte überdenken müssten. Brückner sagte, architektonisch seien sie heutzutage so angelegt, dass die Tiere möglichst frei wirken sollen. Gräben werden dicht bepflanzt, Gitter grün gestrichen – die Anlagen sollen möglichst ansprechend wirken. Das birgt auch Gefahren.
Andere Praktiken sollen auch für Empörung sorgen
Von einer «vielleicht heilsamen Aufklärung» der Öffentlichkeit spricht der Berliner Tierethiker Bernd Ladwig mit Blick auf solche Fälle. «Sie rücken das verkitschte Bild von Zoos zurecht», meint er und verweist auch auf die Welle der Empörung im Fall des Zoos Kopenhagen, der 2014 eine Giraffe Löwen zum Fraß vorwarf. Tausende Menschen reagierten wiederum entsetzt, als in den vergangenen Jahren in dänischen Zoos Löwen getötet wurden – um Platz für ein neues Zuchttier zu schaffen und Inzucht zu verhindern.
Indem man bewegungsfreudige und intelligente Tiere wenig artgerecht in Zoos halte, entstünden solche unnötigen Konflikte erst, sagt Ladwig. Nur unter diesen Umständen bringe man sich in die Lage, abwägen zu müssen, wer wem zum Fraß vorgeworfen wird, wer wem weichen muss, wer überleben darf.
In spektakulären Fällen wie in Cincinnati werde mit zweierlei Maß gemessen, beobachtet Ladwig. «Andere Praktiken im Umgang mit Tieren müssten genauso für Empörung sorgen.» Ungleich viel mehr Tiere litten und stürben in der industriellen Massentierhaltung, sagt er. Auch in Tierversuchen würden Eingriffe hingenommen, die als Menschenversuche klar würdeverletzend wären, so Ladwig. Er wertet das Nachdenken über die Ereignisse in Zoos immerhin als einen Anfang hin zu einem schonenderen Umgang mit Tieren.
Keiner weiß was passiert wäre
Zum Tod Harambes hat sich schließlich die renommierte Affenforscherin Jane Goodall geäußert. In einem offenen Brief schreibt sie, sie deute das Verhalten des Gorillas anhand der Videoaufnahmen eher als beschützend. Sie spielt auf einen früheren Fall an, als ein Affe ein ins Gehege gestürztes Kind den Wärtern übergab. Weiter führt Goodall das nicht aus. Klar ist aber: Was passiert wäre, wenn man es darauf hätte ankommen lassen, weiß niemand.
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