Es war ein Paukenschlag an jenem 27. Januar 2006. Die Mittal Steel Compnay gab bekannt, dass sie Arcelor übernehmen wolle. Der Kampf zwischen beiden Unternehmen dauerte 19 Monate. Am 5. November 2007 wurde ArcelorMittal gegründet.
Arcelor hatte nie eine Chance, das Angebot zu einer Übernahme zu überleben. Es war der Stolz von Generaldirektior Guy Dollé und seinem Finanzchef Michel Wurth, dass Arcelor, 2002 in einer schwierigen Stahlzeit gegründet, schuldenfrei war. Arcelor, das auch glaubte, alleine am Markt überleben zu können, hatte auch darauf verzichtet, eine Allianz einzugehen.
Jäger und Sammler
Lakshmi Mittal aber hatte die Schwäche der Luxemburger genau analysiert: Schuldenfrei und als stärksten Aktionär gerade mit fünf Prozent den Luxemburger Staat im Rücken, war Arcelor verwundbar. Alles was Arcelor tun konnte, war, den Preis in die Höhe zu schrauben. Mittal hatte ein erstes Angebot über 18 Milliarden vorgelegt. Letztlich aber gab er fast 26 Milliarden aus, um sich Arcelor einzuverleiben.
Was ist in den Jahren seit der Gründung aus dem Konzern geworden? Anders als Konzerngründer, die aus eigener Gründung und Erweiterung einen Konzern bauen, ist Lakshmi Mittal Jäger und Sammler. Seine Vision war, einen weltumspannenden Konzern zu gründen. Getan hat er dies aus kontinuierlichen Zukäufen. Damit war der Konzern auch nie homogen. Und er war beständig hoch verschuldet.
Konzern in Schwierigkeiten
Den ersten Konflikt musste Lakshmi Mittal mit dem ersten Vorstandsvorsitzenden ausfechten. Mittal wollte zum Stahl zusätzlich Eisenserzminen in den Konzern aufnehmen und in diesem Bereich weltweit zukaufen. Roland Junck, erster Vorstandsvorsitzender der Gruppe, war mit der Art und Weise, in der diese Strategie verwirklicht werden sollte, nicht einverstanden, sah Gefahren. Nach sechs Monaten ging er.
Der Aufbau mit zwei Standbeinen, Eisenerz und Stahl brachte den Konzern tatsächlich in Schwierigkeiten. Es gab und es gibt Überkapazitäten. Und es gibt zusätzlich eine Preiskrise für Stahl und für Eisenerz. ArcelorMittal sieht sich als weltweiter Konzern rund um den Globus diesen Krisen ausgesetzt. Die Auswirkungen waren in der Bilanz 2015 zu sehen. ArcelorMittal machte einen Verlust von 7,9 Milliarden US Dollar.
Stahl- und Preiskriege
Mittal sah sich je nach Kontinent ganz anderen Problemen ausgesetzt. In den Vereinigten Staaten galt es, in den USJoint Ventures zwischen Arcelor und Nippon Steel mit der gerade von Mittal Steel übernommen US-Stahlindustrie zu verbinden. Brasilien sollte mit Eisenerz und mit Stahlprodukten in eine Verbindung mit Nordamerika eingebracht werden. Der brasilianische Ausbau aber wurde durch Stahl- und Preiskriege und Finanzmangel zeitweise gestoppt. In Algerien gab es politische Intrigen, in Südafrika Auseinandersetzungen mit der Regierung, die bis zur Verstaatlichungsdrohung gingen. Es gab keine Ecke in der Welt, in der es im Mittal Reich nicht irgendwo gebrannt hätte.
Die größten Schwierigkeiten bei der Strukturierung der nationalen Stahlindustrie hatte der Mittal Familien Clan auf seinem wichtigsten Markt, in Europa. Die national aufgestellte Stahlindustrie sollte mit der Fusion in einen übergreifenden Verbund eingebunden werden, der erst geschaffen werden musste. Dabei galt es, national zu restrukturieren und dann die nationalen Einheiten danach europäisch zu integrieren.
Schließungen und Umstrukturierungen
Mittal führte in einer Anfangsphase alle Werke weiter, musste aber bald erkennen, dass ein 2002 von Arcelor erstellter Optimierungsplan durchaus sinnvoll gewesen war. Die größten Schwierigkeiten hatte er dabei in Frankreich, wo er von linken Politikern mit einer – allerdings nicht zu realisierenden – Verstaatlichungsdrohung konfrontiert wurde.
Lakshmi Mittal setzte sich durch: Er schloss das veraltete Elektrostahlwerk im lothringischen Gandrange, behielt das Stahlwerk in Bremen aber bei, das von Arcelor ebenfalls zur Schließung freigegeben worden war. ArcelorMittal blies die Hochöfen in Florange aus, gab Schließungen und Umstrukturierungen in Luxemburg bekannt, unter anderem die Schließung des Werkes Schifflingen, sowie die Stillegung der Walzwerke im belgischen Seraing und Ougrée. In Luxemburg werden auf Dauer die Produktionsorte Esch Belval und Differdingen überleben. Das Drahtwerk in Bissen (Link) wird der Konzern verkaufen.
Talent zur Restrukturierung
Die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 traf das Unternehmen hart. Der Konzern stoppte Investitionen weltweit. Gleichzeitig musste Mittal die Verschuldung des Konzerns in den Griff bekommen. Sie betrug in der Spitze über 21 Milliarden Dollar. Mittal hatte seine Zukäufe über Kredite finanziert, die sich nun in einer hohen Verschuldung bemerkbar machten.
Er fuhr dabei eine Politik, die der ehemaligen Arcelor deutlich entgegengesetzt war. Arcelor zum Beispiel wollte die polnische Stahlindustrie nicht. Mittal nahm sie und zeigte dabei sein Talent zur Restrukturierung. In der Konzernstruktur trennte er die schwierigen Spezialstähle ab und schuf den Spezialstahl-Konzern Aperam, der jährlich etwa 2,5 Millionen Tonnen produziert. Zu einer gleichartigen Teilung zwischen Eisenerzminen und Stahlproduktion konnte er sich nicht entschließen.
Nichts als Stahl
ArcelorMittal hat sich von der Strukturkrise noch nicht erholt. Der Konzern ist auch immer noch in seiner Bildung begriffen. So trennt er sich gerade von Bereichen, die nicht unmittelbar mit der Stahlherstellung zu tun haben, sondern eher mit der Verarbeitung. Von den konzerneigenen Eisenbahnen hatte er sich schon sehr früh getrennt. Stahl soll ArcelorMittal machen, nichts als Stahl.
«Wir glauben an uns», hatte Aditya Mittal mitten in der Übernahmephase von Arcelor gesagt. «Wir wollen etwas schaffen, das den Test der Zeit übersteht. Wir glauben an das Unternehmen.» Das ist harte Arbeit. Aus dem Börsenwert von 2007 haben sich um die 90 Prozent in Luft aufgelöst. Nach all den Jahren kann man nicht behaupten, dass ArcelorMittal eine Erfolgsstory geworden ist. Den Test der Zeit muss das Unternehmen noch bestehen.
Das ausführliche Dossier über ArcelorMittal finden Sie in der Samstagausgabe (25.06.2016) im Pint und als ePaper.
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