Der zweijährige Sohn von Samija Subaida schläft nicht und isst auch nichts. «Ich glaube, er wird sterben», sagt die 26-Jährige. Sie und sieben andere, in Burkas gehüllte Frauen kauern in einer dunklen Lehmhütte in Ugam im nordwestafghanischen Dschodschan. Dreißig weitere Frauen warten draußen.
Sie sind gekommen, um ihre Kinder von Mitarbeitern der Hilfsorganisation «Save the Children» untersuchen zu lassen. Von den 69 Kindern, die an diesem kalten Morgen untersucht werden, sind nur zehn gut ernährt. Samijas Sohn gehört nicht dazu. Er wiegt viel weniger, als ein Zweijähriger wiegen sollte.
Nur geringe Überlebenschancen
Die Überlebenschancen für Kinder in Afghanistan gehören zu den schlechtesten weltweit. Von neun Kindern sterbe eines vor seinem ersten Geburtstag an Unterernährung oder Krankheit, hieß es in einem Report von «Save the Children» aus dem Vorjahr. Jedes fünfte Kind erlebt seinen fünften Geburtstag nicht. Im vergangenen Jahr starben 30 000 Kinder an Unterernährung. Ein Drittel aller Kinder ist untergewichtig und 59 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren ist chronisch unterernährt.
In Dschodschan ist die Lage besonders schlimm. Die bitterarme Provinz ist von einer seit fünf Jahren anhaltenden Dürre betroffen. In diesem Teil Afghanistans ist Armut – und nicht Gewalt – das Hauptproblem. Die Dürre hat die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben. Dschodschan sei von Regenfällen abhängig, sagt «Save-the-Children»-Provinzchef Sajed Ahmad Schah Karaar. Es gebe kaum Bewässerungsanlagen. Wegen der Dürre sind die Lebensmittel nicht nur knapp, auch die Auswahl ist eingeschränkt. Mangelerscheinungen sind die Folge.
Überzeuggungskunst notwendig
Es sei sehr schwer gewesen, die Dorfbewohner zu überzeugen, an der Untersuchung teilzunehmen, erzählt eine Helferin. «Für sie ist Unterernährung kein gesundheitliches Problem.» Der Dorfälteste von Ugam, Karidschadar Hamidullah, meint, Armut und Dürre seien hauptverantwortlich für den schlechten Gesundheitszustand der Kinder. «Die Flüsse und Kanäle sind alle ausgetrocknet», sagt er. Viele der Dorfbewohner haben wegen der Dürre ihre Bauernhöfe aufgegeben. Die meisten Männer hätten das Dorf verlassen und seien in die Städte abgewandert. Andere, vor allem Frauen, weben stattdessen Teppiche. Doch damit lasse sich nicht genug verdienen, um die Kinder richtig zu ernähren, sagt er.
Dazu kommt Drogenmissbrauch. «Die Frauen geben den Babys manchmal Opium, damit sie länger schlafen und die Frauen mehr Zeit zum Weben haben», erzählt Karaar. Die Babys würden dadurch nicht nur opiumabhängig, sondern bekämen auch zu wenig Muttermilch.
Ein Pfleger für 20.000 Menschen
Der 33 Jahre alte Nehmat Ullah ist der einzige Krankenpfleger in der Dorfklinik von Dschungle Arech. Die Klinik ist für etwa 20 000 Menschen zuständig. Von den etwa 100 Patienten, die Ullah jeden Tag betreut, sind mindestens fünf unterernährte Kinder. Und es werden immer mehr.
«Viele glauben, die Kinder haben irgendwelche Krankheiten. Sie wissen nicht, dass die Ernährung schuld ist», sagt er. Die Mahlzeiten vieler Kinder bestehen nur aus Brot und Tee. Und das Tag für Tag. Eltern hätten oft keine Ahnung von gesunder Kinderernährung, sagt Ullah. Und selbst wenn, dann könnten sie es sich nicht leisten. «Sie fragen mich, warum Brot nicht genug sei», erzählt er.
Ogle Khan hat vier Kinder. Doch sie und ihr Mann verdienen als Teppichweber nur etwa 17 Euro im Monat. Ihr zweijähriger Sohn ist unterernährt. «Mit dem Teppichgeld können wir kaum Brot für uns alle kaufen», erzählt die 28-Jährige. «Außer Muttermilch kann ich meinem Sohn nichts geben.*
Zu Demaart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können